31. Juli 2025

Verbleib ungeklärt: Die Kunstsammlung der Dresdner Familie Wollf. Teil 1

Die Kunstsammlung der Dresdner Familie Wollf

Die Kunstsammlung der Dresdner Familie Wollf galt einst als eine der bedeutendsten der Stadt. Heute ist sie fast völlig verschwunden. Teil 1, von Barbara Bechter, Provenienzforscherin im Kunstgewerbemuseum und in der Porzellansammlung

Am 8. August 1942

Am 8. August 1942 wurde eine hochkarätige Sammlung europäischer und ostasiatischer Kunstwerke in den Bestand des Kunstgewerbemuseums Dresden übernommen. Laut Inventarbuch 516 stammt sie „aus dem Nachlaß des Juden Israel Wollf, Dresden, Franz-Liszt-Str. 6“. Bei diesem „Israel Wollf“ handelt es sich um Professor Julius Ferdinand Wollf – von 1903 bis 1933 Chefredakteur und Mitverleger der Tageszeitung „Dresdner Neueste Nachrichten“. Im Februar 1942, sechs Monate vor der Übernahme der Kunstwerke in den Museumsbestand, war er nach jahrelangen Repressalien durch die Nationalsozialisten zusammen mit seiner Frau Johanna Sophie aus dem Leben geschieden. Die Erinnerung an das Lebenswerk und das Eigentum des Paares ist in Dresden nahezu ausgelöscht. Zahlreiche Quellen, die Hinweise zur Sammlung des Ehepaares Wollf geben könnten, sind in Dresden als Kriegsverlust verzeichnet. Einzig in der im Hauptstaatsarchiv Dresden erhaltenen Erbscheinakte gibt es einige Hinweise auf die Kunstschätze. 

Bild 1 neu

Ausschnitt einer handschriftlichen Liste
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunstgewerbemuseum
Auszug aus dem Inventarbuch 516 des Kunstgewerbemuseums Dresden vom 8.8.1942

Wollfs beruflicher Werdegang

Der 1871 in Koblenz als ältester von fünf Geschwistern geborene Julius Ferdinand Wollf studierte Philosophie, Geschichte, Volkswirtschaft, Kunst und Literaturgeschichte, beherrschte fünf Sprachen und heiratete 1898 die sechs Jahre jüngere Johanna Sophie Gutmann. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Dramaturg am Hoftheater in Karlsruhe, seit 1899 als Journalist bei der von August Huck herausgegebenen „Münchner Zeitung“. Dieser ernannte Wollf 1903 zum Geschäftsführer der Dresdner Niederlassung, die nun Verlag Neueste Nachrichten, Wollf & Co. hieß und die "Dresdner Neuesten Nachrichten“, die auflagenstärkste Tageszeitung Sachsens, herausgab.

Portrait von Julius Ferdinand Wollf
© Archiv
Julius Ferdinand Wollf; Verleger, Chefredakteur und Schauspielkritiker

Als Theaterkritiker und

Als Theaterkritiker und Chefredakteur war Wollf für die kommenden 30 Jahre prägend für das kulturelle Leben der Stadt. Zu seinem weit gespannten Netzwerk an Freunden aus Politik, Wirtschaft und Kultur gehörten etwa der deutsche Außenminister Gustav Stresemann und der Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, der Dresdner Literaturwissenschaftler Victor Klemperer und der Odol-Fabrikant Karl August Lingner. Mit letzterem verband ihn eine besonders enge Freundschaft. Wollf schrieb eine Biographie über Lingner und war dessen Testamentsvollstrecker. Zudem war Wollf maßgeblich an der Durchführung der Ersten Internationalen Hygieneausstellung 1911 und der Gründung des Deutschen Hygienemuseums 1912 beteiligt. Durch seine Tätigkeit in zahlreichen Verbänden – so war er Mitorganisator der Gerhart-Hauptmann-Festtage am Dresdner Schauspielhaus in Anwesenheit des Schriftstellers 1922, Mitglied im Dresdner Rotary-Club und Mitbegründer der Dresdner Schopenhauergesellschaft – nahm Wolff großen Einfluss auf das kulturelle Leben und Ausstellungsgeschehen in Dresden. Der sächsische König Friedrich August III. verlieh Wollf 1916 den Professorentitel und 1918 das Sächsische Kriegsverdienstkreuz. 

Die Kunstsammlung der Wollfs

Das Ehepaar Wollf bezog 1916 eine Villa an der Südseite des Großen Gartens in der Palaisstr. 6 (seit 1937 Franz-Liszt-Str. 6). Die Grundstücke dieses Stadtteils wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit repräsentativen Villen bebaut und zum Wohnsitz einiger der reichsten Dresdner Familien. 

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Foto der Villa des EWhepaars Wollf
© www.altesdresden.de
Die Postkarte um 1930 zeigt die Villa des Ehepaars Wollf

Nach Günther Rühle,

Nach Günther Rühle, seit Mitte der 1950er Jahre Journalist, Theaterkritiker und Feuilletonchef verschiedener deutscher Tageszeitungen, waren Wollfs Haus, „in dem Gerhart Hauptmann, Felix Salten, Franz Werfel, S. Fischer, Fritz Busch und viele andere verkehrten, und sein Blatt [Dresdner Neueste Nachrichten] kulturelle Institutionen in Dresden. “Eine enge Beziehung pflegte das Ehepaar Wollf zur Familie des Schriftstellers Felix Salten, der durch seine Tiergeschichte „Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ von 1922 weltberühmt wurde. So weilte beispielsweise die Tochter, Anna Katharina Rehmann-Salten, oftmals in den Schulferien im Haus der Wollfs und wurde zur gesetzlichen Erbin vom Nachlass des (kinderlosen) Ehepaares eingesetzt.

Die repräsentative Kunstsammlung der Wollfs beschrieb Emmy Mraczek, eine enge Freundin der Wollfs und Ehefrau des Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie detailliert 1956 in einem Gedächtnisprotokoll: „Das Haus von Julius Wollf war wohl mit das wertvollste Haus in Dresden; man kann sagen, dass jedes einzelne Stück einen bedeutenden Wert darstellte. Es waren wohl nur Kunstschätze in diesem Haus.“ Zu den mobilen Werten gehörte eine Sammlung von Ostasiatica, herrliche Uhren, wertvoller Schmuck, Porzellan und Silber sowie Gemälde von Renoir, Kokoschka und wohl Cézanne, eine bedeutende Bibliothek und wertvollstes Inventar. Als die Nationalsozialisten Ende 1938 die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ erließen – nach der Juwelen, Edelmetalle und Kunstgegenstände bei staatlichen Ankaufstellen abgeliefert werden mussten – seien vom Ehepaar Wolff zwei Möbelwagen voll bedeutender Kunstschätze zwangsweise in das Pfandhaus am Neustädter Markt eingeliefert worden.

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Vier Porzellane in unterschiedlicher Ausführung
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden und Koller, Zürich
Beispiele der 1942 beschlagnahmten und im Kunstgewerbemuseum Dresden inventarisierten Sammlung Wollf (Restitution 2008 und 2015)

Zwei weitere Gemälde,

Zwei weitere Gemälde, von den Künstlern Oskar Moll und Jules Pascin, wurden 1929 für die III. Jubiläumsausstellung des Sächsischen Kunstvereins auf der Brühlschen Terrasse: „Neuere Kunstwerke aus Dresdner Privatbesitz“ von Julius Ferdinand Wollf verliehen. Auf einem historischen Foto der Ausstellung in der Kunstakademie auf der Brühlschen Terrasse in der Deutschen Fotothek ist das „Stillleben mit Krügen, Früchten und Blumen“ von Moll eindeutig zu identifizieren – es ist gleich rechts neben dem großformatigen Gemälde „Der Sieger“ seines ehemaligen Lehrers Lovis Corinth platziert.

Zum zweiten Teil

Dieser Artikel ist

Dieser Artikel ist der 1. Teil einer Reihe. Er ist ebenfalls in den Dresdner Neueste Nachrichten am 31. Juli 2025 veröffentlicht worden.

Zu diesem Thema ist auch erschienen: Barbara Bechter: „80 Jahre nach Kriegsende – Verbleib ungeklärt: Die Kunstsammlung von Johanna und Julius Ferdinand Wollf, Dresden", 2025, 44 Seiten. Volltext als PDF zum Download im Internet unter: https://retour.hypotheses.org/5421

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