24. Oktober 2019

"Bei uns zu Gast" - Julia Tatiana Bailey (Nationalgalerie Prag)

Vorstellung

In dieser Reihe stellen wir Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland vor, die in den Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu Gast sind, um vor Ort zu forschen.

Wer sind Sie und in welchem Bereich arbeiten/forschen Sie?

Wer sind Sie und in welchem Bereich arbeiten/forschen Sie?

Mein Name ist Dr. Julia Tatiana Bailey, ich bin Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst an der Nationalgalerie Prag (Národní galerie Praha). Mein Hauptforschungsbereich ist der künstlerische Ost-West Austausch zur Zeit des Kalten Krieges.

Was hat Sie an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geführt?

Ich habe im Rahmen des Dresden-Prag-Austauschprogrammes zwischen den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und der Nationalgalerie Prag eine Woche damit verbracht, mich mit den SKD vertraut zu machen.

© Julia Tatiana Bailey
Julia Tatiana Bailey

Am 29./30. Oktober 2016 folgte die zweite Tagung

Welches Objekt aus unseren Sammlungen hat es Ihnen besonders angetan und warum?

Es gibt so viele wunderschöne Werke in den Sammlungen der SKD! Doch die Arbeiten sächsischer Künstler, die in der DDR angeschafft wurden und weiterhin jährlich zum Sammlungsbestand hinzugefügt werden, stechen besonders hervor. Ich hatte das Glück, eine Auswahl im Kunstfonds betrachten zu können. Sehr beeindruckt war ich etwa von der Arbeit Transall von Christiane Baumgartner (2002-04). Dieser große Papierbogen, auf dem drei tankende Millitärflugzeuge zu sehen sind, erweckt den Eindruck, es handle sich um eine digital ausgedruckte Fotografie.

Tatsächlich ist es ein handgefertigter Holzschnitt basierend auf einer Vergrößerung eines Videoausschnittes. Dieses Werk ist nicht nur technischer Hinsicht beachtlich, sondern steht auch exemplarisch für das Werk der Künstlerin. Wenn man genauer hinsieht, kann man hunderte von Linien erkennen, die von Hand auf den Holzblock geschnitzt wurden. Die Authentizität der Arbeit wird durch die sehr schwache Trennungslinie bestätigt, die beim Zusammenpressen der beiden Holzblöcke auf das Papier entstanden ist. Ich fand es eine denkwürdige und sehr schöne Mischung eines traditionell-künstlerischen Mediums und neuer digitaler Technologie. Und die Thematik - basierend auf eine Dokumentationsfotografie, einem Überbleibsel der visuellen Kultur des zeitgenössischen Konflikts - interessiert mich sehr und wurde in anderen fotorealistischen Werken deutscher Künstler, wie beispielsweise Gerhard Richter, mit großer Wirkung benutzt.

Welches Museum in Dresden hat Sie besonders beeindruckt und weshalb?

Welches Museum in Dresden hat Sie besonders beeindruckt und weshalb?

Which museum in Dresden (also except SKD) impressed you most and why?

Das Albertinum hat mich besonders beeindruckt. Der Sammlungsbestand ist sehr groß und ich fand es wunderbar, neue Werke meiner Lieblingskünstler wie Oskar Kokoschka, Lyonel Feininger und Otto Dix (vor allem sein beeindruckendes Tryptichon Der Krieg) - als auch Arbeiten mir vorher unbekannter Künstler wie z.B. Hans Grundigs Tryptichon Das tausendjährige Reich, Wilhelm Lachnits Der Tod von Dresden sowie die Gemälde von Wolfganz Mattheuer zu sehen.

Gebäude des Albertinum von außen
© SKD, Foto: Klemens Renner
Albertinum

Welche Relevanz besitzt Ihr (Forschungs-)Vorhaben für die Gesellschaft?

Welche Relevanz besitzt Ihr (Forschungs-)Vorhaben für die Gesellschaft?

Während meiner Woche in Dresden lag mein Hauptfokus darin, die aktuellen Debatten zu verfolgen, wie deutsche Museen mit den Hinterlassenschaften aus dem Nationalsozialismus und später der DDR in ihren Beständen umgehen. Daraus soll eine Handlungtsempfehlung für die Nationalgalerie in Prag entwickelt werden, wie diese wiederum in ihren Ausstellungen und öffentlichen Programmen auf die eigenen tschechischen Kriegserfahrungen und die kommunistische Vergangenheit antworten könnte.

Dieser Forschungsbereich

Dieser Forschungsbereich ist sehr wichtig für die heutige Gesellschaft ist. Ich denke, dass ein großer Part der politischen Debatten, denen wir uns heutzutage stellen, darin begründet liegt, diese Abschnitte aus der Vergangenheit anzuerkennen. Die Gesellschaft schwankt dabei zwischen Nostalgie, kollektiver Amnesie bis zur Verteuflung. Aus meiner Sicht sollten die Museen den Raum stellen, sich mit der Vergangenheit und Gegenwart in einer sicheren Umgebung auseinanderzusetzen. Folglich besitzen die Museen eine große Verantwortung, da sie in großem Maße die dominanten historischen Narrative hüten und die Möglichkeit bieten, die Menschen zum Nachdenken anzuregen.

© SKD, Foto: Martin Förster
Diskussion und Forum "Zugang und Umgang mit Kunst aus der DDR im musealen Kontext" am 18.10.2018 im Albertinum

Ich war sehr beeindruckt

Ich war sehr beeindruckt davon, dass die SKD eine klare und transparente Politik entwickelt haben, die feinfühlig auf die komplexe deutsche Geschichte reagiert, besonders in Hinblick auf die detaillierte Provenienzforschung und die Weitergabe dieses Wissen innerhalb der Museen des Verbundes.

What will the museum of the future look like (and what does this imply for your current research activities)?

Wie wird das Museum der Zukunft aussehen (und was bedeutet das für Ihre aktuelle Forschungstätigkeit)?

Ich finde es beachtlich, wie kleine Museen sich in den letzten hundert Jahren verändert haben im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Ich habe z.B. interessiert verfolgt, wie große Unternehmen wie Google und Artsy vergeblich versucht haben, eine Onlineäquivalente zum Museumsbesuch zu etablieren. Dies bestätigt mir, dass es etwas besonderes ist, originale historische oder zeitgenössische Objekte an dedizierten Orten zu sehen. Daher denke ich, dass es in naher Zukunft weiterhin eine Nachfrage nach Museen im klassischen Sinn geben wird.

Tatsächlich scheint

Tatsächlich scheint die allgemeine Begeisterung für Museen gerade zu wachsen. Zusammen mit einer Vorstellung, was in Museen gezeigt werden kann, führt dies zu Gründungen vieler neuer "Nischenmuseen". Neue Technologien werden in diesen Einrichtungen eine immer wichtigere Rolle einnehmen: in Bezug auf architektonische und graphische Designs der Galerien und interaktiven Elementen in den Räumen als auch in Hinblick darauf, den Besuchern ein persönlicheres Erlebnis zu ermöglichen.

© National Gallery Prague
Julia Tatiana Bailey

Ich freue mich

Ich freue mich, dass das Interesse der Museen an den Besuchern und was diese denken, zunimmt, anstatt ihnen zu erzählen was sie denken sollen. Daher hoffe ich, dass in den Museen der Zukunft zuschauerorientiertere Ausstellungen stattfinden werden, mehr Raum für Diskussion geschaffen wird und die Diversität der Besucher die Diversität der Gesellschaft widerspiegeln wird. Im Kern zielt meine Forschung darauf ab, vergessene und übersehene Geschichten aufzudecken, die uns helfen mehr Fragen darüber zu stellen, wer wir sind und warum wir denken, wie wir denken, in der Hoffnung, dass es uns ermutigt, empathischer zu sein und andere zu akzeptieren. Ich bin also sehr froh darüber, dass die aktuelle Ausrichtung der Museen meine eigenen Bestrebungen für die Zukunft reflektiert.

Zum Seitenanfang