11. Mai 2020

Decamerone - eine Sammlung von Geschichten

Hans Leonhard Schäufelein, Eine Gesellschaft im Garten, 1550 oder später

Intro Decamerone

Als im 14. Jahrhundert in Europa die Pest wütete, schrieb der italienische Schriftsteller Giovanni Boccaccio seine berühmte Novellensammlung, das „Decamerone". Zehn junge Menschen, sieben Frauen und drei Männer, flohen vor der Seuche in ein Landhaus bei Florenz. Dort vertreiben sie sich die Zeit, aber auch den Trübsinn und die Angst, indem sie einander Geschichten erzählten.

Decamerone Einleitung

In diesen Geschichten, die auf unterschiedlichste Quellen und Überlieferungen zurückgehen, entwarf Boccacio sein Arkadien, eine Gegenwelt zur Realität des „schwarzen Todes“, die Vision einer besseren und gerechteren Welt.

Das Decamerone erzählt vom prallen Leben, voller Witz, Liebe und menschlicher Tiefe. Es erzählt aber auch von den Möglichkeiten einer „narrativen Prophylaxe“ und beschreibt so eine mentale Überlebensstrategie, die gerade in Zeiten von Corona auch für uns heilsame Wirkung entfalten kann.

© Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Andreas Diesend
Hans Leonhard Schäufelein, Eine Gesellschaft im Garten, 1550 oder später aus: Schertz mit der Wahrheit?, entworfen für Giovanni Boccaccio: Decamerone, Holzschnitt

Einleitung 2

Die drei Völkerkundemuseen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben verschiedene Personen um eine zeitgenössische Auflage des Decamerone gebeten. Entstanden sind kurze, zum Teil utopische Geschichten und gezeichnete Bilder auf der Basis ausgewählter Objekte der drei Sammlungen. Sie sollen Inspiration für ein leidenschaftlicheres, gerechteres und nachhaltigeres Leben im und außerhalb des Museums sein.

Aufruf

Wir wünschen uns, dass diese Geschichtensammlung weiterwächst und neue Perspektiven hinzukommen: Kinder und Erwachsene sind aufgerufen, ihre Geschichten und Vorstellungen eines veränderten Museums und einer anderen, besseren Welt zu erzählen und mit anderen zu teilen.

Geschichten und Bilder können an mvl-grassimuseum@skd.museum gesendet werden.

Stefanies Geschichte

Es ist Weihnachten 2028, das Japanische Palais hat vor wenigen Wochen seine Türen geöffnet, nachdem es fünf Jahre lang wegen Umbaus geschlossen war. Viel hat sich verändert, nicht nur, dass sich seit der Covid-19 Pandemie 2020 und 2021vieles in den digitalen Raum verlagert hat. Wie, dass jetzt jeder kleinster Winkel der ausgestellten Objekte online erkundbar ist, es möglich ist private Kurator*innenführungen von zu Hause aus zu buchen oder sich auf der Website dazu live mit anderen Interessierten auszutauschen. Sondern auch das Damaskuszimmer ist nun erstmals in seiner vollen Größe zu sehen. Über 20 Jahre lang wurde es wohl restauriert und niemand hat es seit seinem Abbau in Damaskus wieder so gesehen. 


Wenn ich jetzt das Damaskuszimmer betrete, kann ich über 5 Meter in die Höhe schauen und mich in den Spiegelelementen der Vertäfelung sehen. So muss es sich angefühlt haben, 1810 in Damaskus, denke ich mir. Hier haben sich unterschiedlichste Menschen getroffen, zusammen Tee getrunken und über ihre Geschäfte diskutiert. Und jetzt stehe ich hier, in mitten einer Menschentraube und nehme ihren Platz ein. Auch ich diskutiere mit den Livespeakern vor Ort, kann gleichzeitig aber auch virtuell Kontakt zu jemanden aus Damaskus aufnehmen, der vor dem Krieg ein solches Zimmer in seinem Anwesen besessen hat. Viel erzählt er mir darüber, die Aufteilung des Raumes, die Nutzung und was es mit der Vielzahl an Malereien an den Wänden auf sich hat. Verrückt, denke ich mir, hier 2028, bin ich jetzt, kann mich austauschen und mit der Welt in Kontakt kommen, kann 200 Jahre in die Vergangenheit reisen und muss dafür nicht einmal meine Stadt verlassen. 

Damaskuszimmer

Damaskuszimmer 

Zum Ende des 19. Jahrhunderts lies Karl Ernst Osthaus die um 1810/11 gefertigte Zimmervertäfelung im damaligen Osmanischen Reich erwerben und diese nach Deutschland überführen. 1930 von einem Erben des bereits verstorbenen Mäzens entdeckt, wurde das in Einzelteile zerlegte Zimmer dem Museum für Völkerkunde Dresden vermacht. Ursprünglich war die aufwendig gestaltete Decken- und Wandvertäfelung mit ihren Reliefornamenten, Blattmetallauflagen und Malereien Bestandteil eines Empfangszimmers für Gäste eines Damaszener Altstadthauses. 

Christines Geschichte

Das Völkerkundemuseum in der Oberlausitzer Kleinstadt Herrnhut ist kaum wiederzuerkennen. Sie erinnert sich, wie sie als Kind mit den Eltern auf dem Weg ins Zittauer Gebirge jedes Jahr in den Sommerferien durch den Ort kam. Schon am Eingangsschild von Herrnhut hing sie den Eltern in den Ohren, im Museum wieder einmal die grönländischen Schlittenhunde in der Dauerausstellung ansehen zu dürfen.

Zeitsprung in den Herbst 2025: Herrnhut ist nun UNESCO-Weltkulturerbe. Sie steht mit ihren eigenen Kindern und der ein wenig in die Jahre gekommenen Museumsleiterin in einem ganz anderen Museum. Heute noch sieht sie die junge Frau vor sich, die Mitte der 1980er vom Studium der Ethnologie aus der Hauptstadt ins beschauliche Herrnhut kam. Als sie im Gespräch die letzten Jahrzehnte Revue passieren lässt, hat sie immer noch diesen Glanz in den Augen: „Im Frühjahr und Herbst 2020 stand hier alles still, keine Besucher*innen mehr, wir mussten uns komplett neu organisieren. Anfangs dachte ich: Wie weiter? War es das für unser Museum? Doch im Gegenteil: Die Zeit der Shutdowns barg trotz aller Herausforderung die große Chance, dieses Kleinod von Museum ganz neu zu denken.“ Sie erzählt, wie sie via Internet in intensiven Kontakt mit Herkunftsgemeinschaften aus z.B. Labrador oder Brasilien trat: „Eine andere Chance hatten wir ja nicht. Wir konnten uns zwar nicht treffen und die Objekte gemeinsam ansehen, aber die Weichen für eine dauerhafte Zusammenarbeit stellen.“ 

Inzwischen seien wieder regelmäßig Besucher*innen aus aller Welt im Museum zu Gast, die Sammlung habe davon stark profitiert. Viele Objekte sieht sie nun selbst in einem anderen Licht, sie habe so viel Neues über die Sammlung gelernt. Und die Ausstellung ist nicht wiederzuerkennnen: Zahlreiche Objekte sind ausgetauscht, einige zurückgegeben, viele erstrahlen in neuem Glanz und Kontext. Einzelne Objekte werden zeitweise an anderen Orte in der Oberlausitz gezeigt. Und die Schlittenhunde? Sie lacht – die habe sie erst einmal an die Tierpräparatoren des Naturkundemuseums Berlin geben müssen. Vielleicht sind sie bald wieder im Museum zu sehen, aber in einem ganz anderen Zusammenhang.

Bild

Aussenansicht eines alten und eines neuen Gebäudes
© SKD, Foto: H. C. Krass
Blick auf das neue Magazingebäude des Völkerkundemuseums Herrnhut

Völkerkundemuseum Herrnhut

Völkerkundemuseum Herrnhut

Das 1878 gegründete Herrnhuter Museum - mit seinem Vorläufer, dem seit 1758 nachweisbaren Naturalienkabinett der Brüder-Unität in Barby, später Niesky - gehört zu den ältesten Missionssammlungen im deutschsprachigen Raum. Mit seinem im Gründungsnamen geäußerten Anspruch eines "ethnographischen kultur- und naturhistorisch-wissenschaftlichen Museums" stellt es innerhalb der Missionsmuseen eine der wenigen Ausnahmen dar. Im Jahr 2004 fusionierten die Völkerkundemuseen in Dresden, Leipzig und Herrnhut. Seitdem bilden sie die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen, die seit 2010 zum Verbund der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehören.

Ians Geschichte

Ich bin heute das erste Mal seit vier Jahren wieder im GRASSI Museum für Völkerkunde gewesen. So lange war das Museum (und alles andere ja auch) wegen Corona geschlossen. Ich war so aufgeregt, wieder an dem Ort zu sein, den ich als Zehnjähriger so abenteuerlich und so unendlich groß wahrgenommen habe. Immer gab es etwas Neues zu entdecken und neue Geschichten zu hören. Jetzt bin ich vierzehn und plötzlich ist alles anders. Es sieht alles gar nicht mehr so groß aus und ich habe inzwischen das Gefühl, jedes Exponat einzeln zu kennen, wenn auch nur digital.

Die Zeit, in der wir wegen des Virus alle zuhause bleiben mussten, war gar nicht so schlimm. Oder vielleicht habe ich mich einfach so sehr daran gewöhnt... Daran gewöhnt, dass in die Schule zu gehen hieß, den Laptop hochzufahren, dass den Sonntag mit Oma zu verbringen hieß, auf dem Balkon zu facetimen, dass Urlaub hieß, mit dem Fahrrad an den See zu fahren, und dass ins Museum zu gehen hieß, sich die Exponate am Bildschirm anzuschauen und die Texte dazu zu lesen. Aber ich kann mich auch an die Zeit davor erinnern, als ich jeden Tag unterwegs war und mit Freunden nach der Schule gespielt habe, mit Mama in der Stadt einkaufen war und was mir am meisten gefehlt hat: mit Oma ins GRASSI zu gehen und die Welt zu entdecken. Wir haben uns immer eine neue Region angeschaut und jeder hat sein Lieblingsexponat für den Tag gesucht. Danach gab es zuhause immer eine große Portion Eis mit Sahne.

Es ist erstaunlich, wie anders die Welt heute ist. Alles scheint ruhiger zu sein. Mama sagt, dass das gut so ist: „Die Menschen haben Verzicht geübt, das ist gut für den Planeten“. Und doch freue ich mich, dass #bleibtzuhause vorbei ist.

Es ist so anders und auch schöner, Dinge in echt zu sehen und nicht nur digital. Unsere Kunstlehrerin Frau Hummel hat uns immer gesagt, wie wichtig das Original ist. Ich habe das nie wirklich verstanden. Aber jetzt verstehe ich es und schätze das Original umso mehr. Ich glaube, das haben viele Menschen jetzt verstanden: Das Museum war nämlich ganz schön voll!

Abbildung GRASSI

© SKD; Foto: Ute Uhlemann

GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig

GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig

1869 wurde das Museum von der Leipziger Bürgerschaft gegründet. Durch zahlreiche Schenkungen, Ankäufe und Zuwendungen aus aller Welt wurde der Sammlungsbestand in den darauffolgenden Jahren beträchtlich erweitert. Seit 1927 ist das GRASSI Museum am Johannisplatz Domizil des Museums für Völkerkunde. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und einem damit einhergehenden Bombenangriff im Jahre 1943 zerstörte das Museum nahezu komplett und forderte ein Fünftel seiner Sammlung.

Ab 1947 erfolgte der systematische Wiederaufbau des Museums, wodurch 1954 die erste Dauerausstellung, welche in den darauffolgenden Jahrzehnten mehrfach aktualisiert bzw. neu konzipiert wurde, eröffnen konnte. Von 2001 bis 2005 wurde der gesamte Gebäudekomplex saniert, so dass pünktlich zum 140-jährigen Jubiläum 2009 eine neue Dauerausstellung eröffnete. In einem nächsten Schritt soll das Museum bis 2023 unter dem Projekt „(Re)Inventing Grassi 2023“ neu gedacht und gestaltet werden.

Barbaras Geschichte

Gestatten, mein Name ist Pink, Mr. Pink. Ich mag Grün. Ich wurde grün gespritzt.  Meine Bewohner lieben die Natur und sie gibt ihnen Kraft. Jetzt ganz besonders, weil die Natur sich nicht um Corona schert. Ich bin 21, war schon Reisemobil, Sechs-Quadratmeter-Wohnung und Filmstudio. Ich bin auch ein Star auf YouTube, weil man mich momentan nicht im Kino sehen kann. Martin und Teresa sagen, es wäre wegen der Pandemie. Gehen die Menschen deshalb gerade extreme Wege und werden sie nach der Pandemie auch noch so einfallsreich sein wie jetzt? Auf meinen extremen Wegen gab es mehrere Achsbrüche. Glücklicherweise konnte Martin überall Ersatzteile beschaffen und er war ziemlich einfallsreich. Wir konnten vielfältige Kontakte knüpfen, von denen manche noch immer halten, besonders die zu einer mongolischen Großfamilie.

Jetzt stehe ich in der Einsamkeit der brandenburgischen Pampa und bin mir der Zukunft sehr ungewiss.
Martin und Teresa hatten sich vor drei Jahren entschieden, mit mir 30.000 km durch Zentralasien ins "Nichts", ins Ungewisse, zu fahren. Was wir jedoch anstelle dessen dort fanden, war pralles Leben, Fülle, Gelassenheit, eine umwerfende Natur. Es mutet utopisch an in dieser sonst so digitalen Welt, aber wir trafen auf Menschen, die keinen Müll produzieren, die kein fließendes Wasser haben, für die Urlaub ein Fremdwort ist, die ihre Lebensmittel selbst herstellen, die kein Smartphone brauchen, um zu kommunizieren, die eins sind mit der Natur. Doch auch sie spüren den fortschreitenden Klimawandel. Die gastfreundliche Nomadenfamilie in der mongolischen Steppe, mit der wir einige Tage verbringen durften, hat es zunehmend schwerer, gutes Weideland für ihre Schafe, Ziegen und Pferde zu finden. Öfter als üblich müssen sie ihre Jurten woanders aufschlagen. Martin und Teresa haben beim Aufstellen der Jurten und beim Einfangen der Jungtiere geholfen. Das Melken der Stuten haben sie lieber den Frauen und Mädchen der Familie überlassen. Gemeinsam tranken sie manchen Becher Kumys, der in einem Ledersack gleich neben dem Eingang der Jurte aufbewahrt wird...

Zurückgekehrt aus Asien wollten wir Drei eigentlich an die Ostsee, doch wir schafften es nur 50 km weit bis nach Brandenburg. Dort entdeckten Martin und Teresa ein wunderbares Fleckchen Erde mit Heide, Birken und Kiefern, das sich irgendwie asiatisch anfühlte. Seitdem pendeln wir zwischen pulsierender Großstadt und idyllischer brandenburgischer Steppe. Als "triftiger Grund" für das Verlassen des Hauses in der jetzigen Krisenzeit gilt auch das Besuchen des eigenen Grundstücks. Martin und Teresa haben also alles richtig gemacht. Ihr "Zufluchtsort" jetzt und nach Corona scheint gesichert. Werden sich nach Corona noch mehr Menschen für ein autarkes Leben entscheiden, damit sie unabhängiger leben können? Werden sich die mongolischen Nomaden irgendwann für eine feste Wohneinheit entscheiden, sollte ihr Leben komplizierter werden?

Martin und Teresa wollen sich auf ihrem Stückchen Land jedenfalls selbst versorgen, pflanzen fleißig, befassen sich mit Perma-Kultur, mit Bewässerung durch Grabensysteme und mit Waldbaden. Alternative Lebensmodelle haben sie nachhaltig geprägt. Sie werden ihr Leben verändern. Eine klassische mongolische Jurte würden sich Martin und Teresa auch gern aufbauen. Vor Kurzem haben sie sich deshalb noch einmal die Jurte im Leipziger Völkerkundemuseum angesehen. Vielleicht wird aber gerade diese Jurte bald nur noch als ehernes Relikt vergangener nomadischer Zeiten in Zentralasien mit besonderer Ehrfurcht im GRASSI zu besichtigen sein? 

Abbildung Jurte

© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Stefanie Bach
Mongolische Jurte

Mongolische Jurte

Mongolische Jurte

Die Jurte ist in den 1960er Jahren in die Sammlung des GRASSI Museums für Völkerkunde gelangt. Ursprünglich stammt sie aus der Mongolei, wo sie für Versammlungen genutzt wurde. Das Innere der Jurte unterliegt einer strengen Gliederung: So war die rechte Seite ausschließlich für Frauen bestimmt und die linke für die Männer. Gegenüber der Tür ist Platz für einen kleinen Altar mit Bildern von Familienangehörigen oder auch Heiligen. In der Mitte der Jurte befindet sich ein eiserner Ofen.

Kembas Geschichte

Oh Schaukeln. Wer hat dieses wunderbare Gefühl der Freiheit nicht geliebt, während er die Füße hochhob und mit den Händen den Himmel erreichte? Befreit von all der Schwere, die den Geist manchmal heimsucht. Wir kamen nur kurz auf den Boden zurück, um dann mit noch mehr Schwung höher zu fliegen. Als Corona ihren Willen über uns erhob, gab es kein Schaukeln. Die Spielplätze gaben keine Geräusche von spielerischem Lachen und weinenden Wutanfällen mehr von sich. Was physisch verloren ging, wurde in unseren Emotionen beschworen: Unüberlegt wurden aus unseren Emotionen kleine Kinder, die ständig in unserem Kopf auf und abgingen. Es war das Jahr 2020 als diese mysteriöse Figur eines Virus die Richtung unserer Gesellschaft veränderte. Gemeinsam haben wir eine neue Welt geschaffen. Wie die Welt jetzt aussieht, ist im Vergleich von vor 20 Jahren kaum wiederzuerkennen. Die Dinge haben sich drastisch geändert auf eine Weise die wir uns in unseren Träumen nicht vorstellen konnten. Was als Frühling der Quarantäne begann, wurde zum Frühling des Mitgefühls. Im kleinen wie im großen Maßstab. Wie Wellen in der Luft wurde jeder Schwung zu einem Antrieb. Wir erinnern uns gut daran, als plötzlich die Tiere an Orte zurückkehrten, die wir Menschen vorher für sie unbewohnbar gemacht hatten. Vorher kannten wir die Namen unserer Nachbarn nicht, danach kannten wir sie alle, mitsamt den Namen ihrer flauschigen Gefährten.

Das Klima verbesserte sich, soziales Einfühlungsvermögen und schließlich ein wenig Frieden kehrte in einige Orten der Welt zurück. Was als zweiwöchiger, solidarischer Waffenstillstand begann, wurde zu einem Monat, wurde zu zwei und schließlich auf sechs Monate verlängert. Bis schlussendlich Einigungen erzielt werden konnte. Unsere „post-coronialen“ Kinder dürfen eine Kultur kennenlernen, die voller Interaktion ist: Museen sind jetzt Orte des spielerischen Lernens geworden mit Zeitzeugen, die live ihre Lebensgeschichten mit Lebendigkeit teilen. Gegenstände, die früher hinter Vitrinen standen, sind jetzt Objekte, mit denen Theaterstücke aufgeführt werden. Die größte Veränderung ist aber, dass wir endlich wieder aufeinander zugehen und voneinander lernen. Der Schaukel des Lebens, von einer Krise zur Menschheit als Einheit: Es wurde ein Gleichgewicht geschaffen und wie dieses schöne Objekt sagt: „Man kann kein Streitgespräch führen, wenn man auf einer Schaukel sitzt.“

Abbildung

© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Stefanie Bach
Indische Schaukel

Die Schaukel „Jhoola“

Die Schaukel „Jhoola“

Die Schaukel „Jhoola“ stammt aus einer 250teiligen Schenkung der indischen Regierung aus dem Jahr 1992 an das GRASSI Museum für Völkerkunde. Im Nachgang der Indischen Festspiele in Deutschland 1991, welche von der indischen Botschaft und dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin organisiert wurden, erhielt das Museum diese Schaukel. Bis vor wenigen Jahren wurde die Schaukel als Requisit in der derzeitigen Dauerausstellung des Museums genutzt, so dass Besucher*innen auf ihr Platz nehmen konnten. Verziert ist die Schaukel mit Gottheiten und himmlischen Wesen, denen auf diese Weise Respekt gezollt werden soll.

Christinas Geschichte

Gestern war unser erster Besuch im Museum, seit sich die Welt mit Corona verändert hat. Endlich haben wir den Passierschein fürs GRASSI Museum für Völkerkunde bekommen. Ich konnte es kaum glauben, dass wir wirklich dort waren. Seitdem man nicht mehr in andere Länder reisen darf, ist das eine der wenigen Möglichkeiten andere Kulturen und Länder kennenzulernen. Am meisten Andrang ist vor dem Tuvalu Haus. Man muss seine Schuhe ausziehen, bevor man diesen Raum betritt. Barfuß laufen wir auf weißem Korallenstrand zu dem kleinen Haus, das mitten im Zimmer steht. Ich höre das Rauschen des Meeres und spüre die salzige Meeresbrise in meinem Gesicht. Selbst Palmen wachsen hier, wenn auch unter UV – Lampen. Angekommen am Tuvalu Haus empfängt uns ein Guide. Er erzählt von den Menschen dort, wie sie einst lebten und heute leben. Dort gibt es keine Pandemie mehr. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie so ein freies Leben sein kann.

Marinas Geschichte

Der Aufzug öffnet sich. Ich trete durch die UV-Strahlendesinfektion und eine Frau in blauer Kleidung begrüßt mich freundlich. Der Raum ist durchdrungen von Sonnenstrahlen, die in warmes Meerwasser eintauchen und ein türkis schimmerndes Farbenspiel erzeugen. Die großen Glasfronten lassen kaum mehr erahnen, dass die Floating Museums einst aus recyceltem Plastik hergestellt wurden. Als Tonnen von Plastikmüll an Stränden angespült wurden und der Meeresspiegel unaufhaltsam stieg, fanden die Menschen neue Wege mit dem Unabwendbaren umzugehen und mehr im Einklang mit unserem Planeten zu leben.

Das kleine Haus in der Mitte des Raumes ist mir aus einem früheren Besuch im GRASSI Museum für Völkerkunde in Leipzig bekannt. Als ich darauf zugehe, schließt sich hinter mir ein schimmernder, fast durchsichtiger Stoff, der zu flimmern beginnt. Meine Umgebung verändert sich und ich befinde mich auf dem Niutao-Atoll des Inselstaates Tuvalu. Dem Zuhause dieses Hauses, welches nur aus Naturmaterialien besteht und keinen einzigen Nagel braucht, um sich gegen mächtige Stürme zu stemmen. Ich wünschte, man könnte sich ein Beispiel daran nehmen - im Einklang mit der Natur Herausforderungen überstehen. Ich spüre die Kraft des Hauses zu Heilen und gleichzeitig sehe ich das Wasser, welches stetig ansteigt. Ich blicke mich weiter um. Nach einiger Zeit schließe ich die Augen und kehre zurück in die Gegenwart. Ich bedanke mich bei der Frau am Eingang für diesen Einblick in die Vergangenheit. Traurig um dieses wunderschöne Atoll und doch hoffnungsvoll, dass im Menschen und seinen Dingen Geschichten weiterleben und wir auch weiterhin voneinander lernen im Miteinander, im Austausch und in der Begegnung stark zu sein. 

Abbildung Tuvalu

© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Stefanie Bach
Tuvalu Haus

Tuvalu Haus

Tuvalu Haus

Vom 26. Oktober bis 22. November 2009 errichteten der Baumeister Simeona Saipele zusammen mit seinem Sohn Saipele, seinem Enkel Ioana und dem Verwandten Vete Sakaio diese verkleinerte Variante eines Wohn- und Schlafhauses der Riffinsel Niutao des Inselstaates Tuvalu im westlichen Pazifik im GRASSI Museum für Völkerkunde. Tuvalu liegt etwa 4 - 5 Meter über dem Meeresspiegel und ist damit besonders vom Klimawandel mit dem einhergehenden Anstieg des Meeresspiegels betroffen.

Jordan's Story

A video on the instagram of an NGO, the White River Fish Sanctuary in Ocho Rios, Jamaica shows shore-line residents observing two eagle rays flying under the clear turquoise water. You can hear from observers' reactions that Eagle Rays are uncommon in-shore coral reefs, due to recreational scuba diving and fishing. Their presence indicates the disruptive culture of our underwater, or underworld explorations. I speculate that the onlookers wanted nothing more than to swim with the Eagle Rays, and the opposite being true for the Rays: Thank coronavirus those humans have stopped invading our world, and are in a crisis mode to save theirs so they can finally leave us alone.” The retreat of cultural production, whether scuba diving or critically engaging with guests in a museum exhibition for the sake of survival from the coronavirus has drawn our attention to the blurred categories of dead and living, as what is presumed dead can affect the living negatively and kill some living persons, turning our deceased loved ones into biohazards. Minkisi, also blur the boundaries of dead and alive, as once supernatural cult entities from the Congo region with the speculated powers to affect target persons, see visions of unwitnessed events of the past, and place curses on those who dare touch them. As cultural production returns to Leipzig, the Society for Supernatural Objects leaks a hidden document claiming that Minkisi hold the secret to the true origins of the coronavirus and are demanded by the public to be released. Experts conduct tests but cannot find the answers, but one Nkisi disappears in the process. The next day ZDF reports that the Nkisi has been spotted dressed up in scuba gear on top of Mendebrunnen. 

Abbildung Nkisis

© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Erhard Schwerin
Nkisi Chikoko, Loango Holz, weiß, schwarz, rot bemalt, Federschmuck, Glas; Sammlung Robert Visser

Nkisi

Nkisi

Das Wort Nkisi (sg.) steht im Allgemeinen für spirituelle Kräfte von Verstorbenen und Geistern, aber auch für Behältnisse und geschnitzte Figuren, die als Aufenthaltsorte von Geistern verstanden werden. Sie verkörpern die personifizierte Macht und bilden komplexe und vielschichtige magische Mittel. Minkisi (pl.) können in Form von anthropomorphen und zoomorphen Figuren auftreten und erscheinen so auch als Muschel, Gefäß, Amulett, Horn oder Bündel. Neben ihrer unterschiedlichen äußeren Form besitzt jeder Nkisi seinen personifizierten Namen und Funktion. So geben sie Beistand im Unglück, werden für die Rechtsprechung genutzt, für die Verfolgung von Missetaten, die Stärkung von Gesundheit, zum Schutz vor Gefahren und für das allgemeine Wohlergehen. Sie dienen einer Person, Familie oder Gemeinschaft und sind Container für tierische, pflanzliche und mineralische Materialien. Dieser Nkisi mit dem Titel Chikoko ist 1903 durch den Sammler Robert Visser in die Sammlung des GRASSI Museums für Völkerkunde gelangt und diente ursprünglich einer Dorfgemeinschaft.

Diaras Geschichte

Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich einen jungen Kirschbaum in voller Blüte. Es ist der Frühling nach der Pandemie. Vor meinem Fenster herrscht Alltag. Menschen zu Fuß, mit Fahrrädern, oder in Autos versetzen sie die Straße in Bewegung. Ich beobachte wie sie sich begegnen, sich umarmen und begleiten. Wie auf einem japanischen Paravent entfaltet sich in meiner Erinnerung die Szenerie auf die ich letztes Jahr so oft durch mein Fenster blickte. Neben dem blühenden Kirschbaum sah ich damals geparkte Fahrzeuge. Hin und wieder vereinzelte Personen, wenig Bewegung. Statt das Museum zu besuchen und dort die Exponate zu betrachten, schaute ich auf den kleinen Ausschnitt der Welt, den mein Fenster rahmte. Mir fielen die Fenster gegenüber und ringsherum auf, durch die viele Menschen wie ich auf die gleiche Straße blickten. Die die gleichen Blüten sahen, die gleichen Fahrzeuge, die gleichen Bewegungen. Und doch ganz andere Bilder. Alles eine Frage der Perspektive.

Heute kann ich das Museum wieder besuchen. Im Museum betrete ich einen großen Raum, dessen Wände bis unter die Decke mit Bildern gefüllt sind. Es sind so viele Bilder, dass ich sie nicht zählen kann. Nach einiger Zeit des Betrachtens merke ich, dass die Bilder alle von der Pandemie erzählen. Einer kollektiven Erfahrung. Jedoch aus diversen Blickwinkeln. Wir selbst sind es, die die Welt um uns mit Bedeutung füllen. So gibt es in der einen Welt, die wir uns alle teilen, unzählige Bedeutungswelten. Was die Menschen die das Museum besuchen in diesem Raum sehen? Alles eine Frage der Perspektive.

Byobu

© GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Martin Lutze
Japanischer Wandschirm

Byobu

Byobu

Der japanische Paravent (byōbu) zeigt Darstellungen von »Szenen an der Shijō-Straße nahe des Flussufers« vom Anfang des 17. Jahrhunderts in Kyoto, Japan. Die kleine Szenen zeigen Theatervergnügungen und alltägliche Aktionen wie beispielsweise einen Lastenträger, der durch die schmale Gasse zwischen den Theaterbühnen eilt, versammelte Menschen beim Picknick, andere beobachten Tänzer mit Fächern oder eine Frau fertigt kleine Reisküchlein an einem Verkaufsstand nahe des Flusses.

Der zweiflügelige Paravent wurde von Heinrich Botho Scheube erworben, einem zwischen 1877 bis 1882 in Kyoto tätigen Arzt, der ihn nach seiner Rückkehr nach Deutschland zusammen mit anderen von ihm in Japan gesammelten Gegenständen an das GRASSI Museum für Völkerkunde gab. Als „Wimmelbild“ gibt er Einblicke in das Japan der frühen Edo-Zeit (1603–1868). Kleidung, Frisuren, Musikinstrumente und Alltagsgegenstände sind realitätsnah dargestellt, und das Mit- und Nebeneinander der Figuren erzählt anschaulich von der Gesellschaftsordnung in der damaligen Hauptstadt des japanischen Kaiserreiches.

Zum Seitenanfang