Enthüllt: Johannes Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“
Vermeer
Seit 2017 wird Johannes Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ aufwendig restauriert. Am 7. Mai 2019 wurde ein Zwischenstand der Restaurierung und zugleich eine Sensation präsentiert: Frühere Röntgenuntersuchungen gaben Hinweise auf die Übermalung eines Bildes mit der Darstellung eines nackten Cupidos. Jetzt belegen neue Laboruntersuchungen zweifelsfrei, dass die Übermalung nicht von Vermeers Hand stammt. Auf dieser Grundlage hat die Gemäldegalerie Alte Meister im Zuge der aktuellen Restaurierung des Bildes entschieden, die Übermalungsschicht zu entfernen.
Vermeer PK
Das sagen die Expert*innen zur Restaurierung
Stephan Koja, Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister und der Skulpturensammlung bis 1800:
„Nur rund drei Dutzend Gemälde von Johannes Vermeer sind in der Forschungswelt bekannt. Die Gemäldegalerie Alte Meister ist in der glücklichen Lage sogar zwei Meisterwerke des Delfter Malers zu besitzen. Das 1656 entstandene Bild „Bei der Kupplerin“ wurde bereits 2002 bis 2004 umfassend restauriert, nun freuen wir uns sehr darüber, dass auch die Restaurierung des „Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster“ realisiert werden kann und sich das Gemälde nach Fertigstellung in sensationell neuer Erscheinung präsentieren wird – und wir damit einen bedeutenden Beitrag zur Vermeer-Forschung leisten können.“
Marlies Giebe, Leiterin der Restaurierungswerkstatt Gemäldegalerie Alte Meister:
„Mit der Restaurierung des „Brieflesenden Mädchens am offenen Fenster“ erzielen wir einen Wiedergewinn der bekannten frischen Farbigkeit Vermeers in einem Gemälde, das an einem wichtigen Wendepunkt in Vermeers Schaffen einzuordnen ist. Zugleich erlangen wir Antworten auf unterschiedliche Hypothesen zur Bildfindung und zur Geschichte des Bildes. Der interessierten Öffentlichkeit bieten wir ab heute die einmalige Möglichkeit, unsere Befunde direkt am originalen Gemälde zu betrachten, näher kann man der Arbeit des Restaurators nicht kommen.“
Uta Neidhardt, Oberkonservatorin der Gemäldegalerie Alte Meister:
„Schon jetzt, nachdem die Abnahme der Übermalung im Hintergrund des „Brieflesenden Mädchens“ etwa zur Hälfte vollzogen ist, zeigt sich eine erstaunliche Veränderung der Bildwirkung: Die Elemente der Verhüllung und des Verbergens spielen in diesem Frühwerk Vermeers eine weniger dominierende Rolle, als die im Hintergrund von fremder Hand veränderte Komposition zweieinhalb Jahrhunderte lang vermuten ließ.“
Christoph Schölzel, Restaurator der Gemäldegalerie Alte Meister:
„Hat schon die Abnahme des stark gealterten Firnisses das uns gewohnte Erscheinungsbild des „Brieflesenden Mädchens“ grundlegend verändert, so stellt die Entfernung der Übermalung über dem Hintergrundbild eine völlig neue Realität in dem Bild her. Plötzlich fügt sich das Dresdner Gemälde zwanglos in die anderen verschränkten Kompositionen des Meisters ein und die kühle, subtile Farbigkeit mit den bisweilen pastos eingesetzten Farbtupfen rückt es zeitlich noch näher zur berühmten „Milchmagd“ in Amsterdam.“
Arthur K. Wheelock Jr., ehem. National Gallery Washington, Mitglied der Expertenkommission:
„Die sorgfältige, mehrjährige Restaurierung von Vermeers „Brieflesenden Mädchen am offenen Fenster“ in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister hat spannende neue Erkenntnisse über das ursprüngliche Erscheinungsbild dieses wunderbaren und stimmungsvollen Meisterwerks ergeben. Nun, da die Übermalung, die ein wichtiges Element des Gemäldes verdeckt hatte, entfernt ist, betrachten wir dieses Kunstwerk mit gänzlich neuen Augen, während wir auch weiterhin Vermeers Gespür für Licht, Farbe und kompositorische Harmonie bewundern.“