28. Januar 2020

Im Gespräch mit Jan Švankmajer

Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“

Jan Svankmajer als der Altmeister

Jan Švankmajer gilt als der Altmeister des tschechischen Animationsfilms. Mit seiner entwickelten Stop-Motion-Technik war er eine wichtige Inspirationsquelle für Regisseure wie Tim Burton und Terry Gilliam. Im Interview spricht Jan Švankmajer darüber, wie er zum Filmdreh kam, über sein Berufsverbot, den Begriff Freiheit und was es für ihn bedeutet Surrealist zu sein.

ie sind gelernter Puppenbauer und haben viele Jahre im Theater gearbeitet. Wie sah Ihre Arbeit vor der Zeit des Filmdrehs aus?

Sie sind gelernter Puppenbauer und haben viele Jahre im Theater gearbeitet. Wie sah Ihre Arbeit vor der Zeit des Filmdrehs aus?

Der Lehrstuhl für Puppenspiel an der Theaterfakultät der Akademie der Musischen Künste in Prag wurde in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu etwas weltweit Einzigartigem. Da ich Marionetten seit jeher liebte, bedeutete es für mich sinngemäß eine Verlängerung der Kindheit. Ich studierte  Puppenspielregie und Szenographie und weil Puppen als unkritisch und Spielzeug für Kinder betrachtet wurden, gab es am Lehrstuhl keine besondere ideologische Aufsicht. Ich konnte mir also erlauben, schon an der Akademie mit Marionetten zu experimentieren.

Jan Švankmajer
© privat
Jan Švankmajer

Wer oder was hat Sie zu dieser Zeit beeinflusst?

Wer oder was hat Sie zu dieser Zeit beeinflusst?

Ich war von der künstlerischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit fasziniert. Besonders liebte ich das sowjetische Avantgardetheater der 20er Jahre. Namen wie Meyerhold, Tairow, Ochlopkow durfte man jedoch in der Schule kaum aussprechen, geschweige denn, dass wir etwas von ihnen im Unterricht der Theatergeschichte erfahren hätten. Ich las von ihren phantastischen Inszenierungen in Büchern, die man nur antiquarisch erwerben konnte. Es waren Autoren, die in der Sowjetunion verfolgt und verboten wurden. Meyerhold wurde sogar in den 30er Jahren hingerichtet.

Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“
© SKD, Foto: David Pinzer
Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“

Und wie standen Sie zum Filme machen?

Und wie standen Sie zum Film machen?

In dieser Zeit wollte ich vom Film nichts wissen. Er schien mir zu "realistisch", während sich im Puppenspiel eine phantasievolle Stilisierung von Puppen sowie der Szene für die Eröffnung der imaginären Spiele anbot. Zum ersten Mal kam ich mit Film in Kontakt, als ich als ein frischgebackener Absolvent Marionetten am Draht im Film von Emil Radok Johannes Doktor Faust führte. Diese Arbeit hat mich sehr gefesselt, ich verstand es aber so, dass der Film nur eine dokumentarische Aufzeichnung des Puppenspiels ist. Aber trotzdem begann ich, mit Ideen zum Regisseur zu gehen, die schon mehr mit der Filmtechnik und -bildlichkeit als mit dem Theater zu tun hatten. Und so entstand zwischen mir und Emil Radok eine Art kreative Freundschaft, die sich nach und nach zur kreativen Zusammenarbeit entwickelte.

Impressionen

Wie und wann kamen Sie zu der Entscheidung Filme zu drehen?

Wie und wann kamen Sie zu der Entscheidung Filme zu drehen?

Nach der Rückkehr aus dem zweijährigen Militärdienst im Jahre 1960 gründete ich beim Theater Semafor das Theater Die Maske. Unsere erste Inszenierung Škrobené hlavy (Gestärkte Köpfe) wurde aus mehreren Stücken zusammengesetzt, aber die Zuschauer waren auf so etwas nicht vorbereitet und verließen die Vorstellung. Auch die Kritik schonte uns nicht und bei unseren weiteren Inszenierungen war es nicht besser! Sodass uns eines Tages gekündigt wurde. Emil Radok, Regisseur im Theater Laterna magica, rettete uns und veranlasste, dass wir in das Ensemble integriert wurden, im neuen Programm Variace (Variation). Und hier begann ich, unter der Leitung vom Herrn Radok, in die Magie des Films einzudringen. Ich stellte fest, dass der Film gegenüber dem Theater einige erhebliche Vorteile hatte. Zum einen kann er auf sein Publikum warten, denn er ist eigentlich eine Art „Konserve“. Zum anderen hat der Film den Schnitt zur Verfügung und die Schauspieler sind hier – schnipp, schnapp – und sind plötzlich woanders. Der Film ähnelt dadurch einem Traum. Es entfallen die im Theater üblichen langwierigen Verschiebungen aus einer Komposition in die andere. Zum dritten kann man mithilfe der Montage die Szene rhythmisieren und dynamisieren bis in die (im Theater unmögliche) wilde „Rapidmontage“.

Noch als Angestellter der Laterna magica bekam ich die Gelegenheit zu meinem ersten, im Jahr 1964 fertiggestellten Kurzfilm Poslední trik pana Edgara a pana Schwarcewalldea (Der letzte Trick des Herrn Schwarzewald und des Herrn Edgar). Fortan widmete ich mich dem Film, obwohl ich den Puppen nicht gänzlich abschwor und zu ihnen in meinem freien Schaffen ab und zu zurückkehre.

Während der 70er-Jahre wurde Ihnen ein Berufsverbot auferlegt; Ihnen wurde verboten, Filme zu drehen. Wie kam es dazu?

Während der 70er-Jahre wurde Ihnen ein Berufsverbot auferlegt; Ihnen wurde verboten, Filme zu drehen. Wie kam es dazu?

Das Verbot kam nach meiner Ablehnung, den Film Otrantský zámek (Das Schloss von Otranto) nach den Bemerkungen der Leitung der Firma Krátký film umzuarbeiten. Der Film verarbeitete die Erzählung des Autors Horace Walpole und ich behauptete im Film, dass das Schloss von Otranto in Wirklichkeit das Schloss von Otrhany in Böhmen ist. Ich belegte es mittels eines Interviews mit einem Amateurarchäologen, der die Ausgrabungen zu diesem Zeitpunkt auf dem Schloss in Otrhany durchführte. In meinem Film wird der Archäologe von einem Fernsehreporter interviewt.

Besucher im Ausstellungsraum
© SKD, Foto: David Pinzer
Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“

Berufsverbot 2

Und ich habe mir erlaubt, für diese „Rolle“ einen authentischen Reporter zu engagieren, den die Leute vom Fernsehbildschirm kannten. Dadurch wurde meine Theorie wesentlich glaubwürdiger. Das hat aber den Direktor der Firma Krátký film aufgebracht und er hat darauf bestanden, dass diese Rolle von irgendeinem Komiker besetzt werden muss, damit die Zuschauer nicht verwirrt werden. Das lehnte ich ab, mit dem Hinweis, dass dadurch der Film den Sinn verloren hätte, denn gerade in dieser Theorie war der Witz des Films begründet. Darüber hinaus wusste ich, dass es ein Vorwand war.

Ein Vorwand?

Ein Vorwand?

Der Hauptgrund war, dass auf einem gerade gelaufenen Festival in Venedig mein Kurzfilm Leonardův deník (Leonardos Tagebuch) aus dem Jahr 1972 vorgeführt wurde, in dem ich animierte Zeichnungen von Leonardo da Vinci aus seinem Codex Atlanticus mit gegenwärtigen Aufnahmen aus Filmjournalen kombinierte. Die Gegenwart setzte ich in analogische Zusammenhänge mit Leonardos Zeichnungen, wodurch ich sie in keinem besonders schönen Licht erscheinen ließ.

Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“
© SKD, Foto: David Pinzer
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Ein Vorwand? 2

Der offizielle Kritiker aus der Tageszeitung Rudé právo empörte sich darüber, welche ideologisch verfehlten Filme von Krátký film produziert würden: Filme, die sich an den westlichen Geschmack anpassen und die nichts über die sozialistische Bemühung des tschechoslowakischen Volkes aussagen. Wenn die zentrale Parteipresse eine solche vernichtende Kritik bringt, muss man natürlich reagieren. Und so verbot man mir, bei Krátký film weitere Filme zu drehen. Und da ich kein Angestellter war und nur dann drehte, wenn die Dramaturgie irgendein Drehbuch von mir in den Plan aufnahm, war es ganz einfach, ein solches Verbot zu realisieren.

Und wie haben Sie gearbeitet, trotz Berufsverbot?

Und wie haben Sie gearbeitet, trotz Berufsverbot?

Zu dieser Zeit hielt ich mich vorwiegend als Bildner und Trickfilmzeichner bei Spielfilmen im Prager Filmstudio Barrandov über Wasser, wo ich für spezielle Aufgaben angeheuert wurde, wie die fleischfressende Blume im Film Adéla ještě nevečeřela (Adele hat noch nicht zu Abend gegessen) oder spezielle Requisiten für den Film Tajemný hrad v Karpatech (Das Geheimnis der Burg in den Karpaten). Auch übernahm ich für die abendfüllenden Filme den Trickvorspann. Zu dieser Zeit widmeten Eva und ich uns auch der Keramik. Eva verkaufte ab und zu ein Bild. Manchmal ging es, aber zu jener Zeit hatten wir in der Schublade 31 Umschläge mit je zehn Kronen (das wären heute 0,40€) pro Essen und Tag.

Freiheit ist ein zentraler Begriff in Ihrem künstlerischen Arbeiten. Sehen Sie Unterschiede zu den 70er-Jahren und heute?

Freiheit ist ein zentraler Begriff in Ihrem künstlerischen Arbeiten. Sehen Sie Unterschiede zu den 70er-Jahren und heute?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Wenn ich es nur bezüglich des Films betrachte, gab es damals selbstverständlich die Zensur, die eine Reihe von vielversprechenden Dingen zugrunde richtete, welche dann in der Schublade verschwanden. Auf der anderen Seite, da Lenin einmal sagte, dass „der Film für uns die wichtigste Kunst ist“, hat der Staat den Film reichlich unterstützt. Der Staat hatte ein Monopol auf Filmproduktion, und so konnte kein Film außerhalb der Staatsateliers entstehen. Auch wenn ein Drehbuch von einem Filmstudio in den Plan aufgenommen wurde, musste man sich nicht um die Finanzierung kümmern. Zudem änderte sich die politische Situation im Land im Laufe der Zeit. Der Zensurdruck schwankte, und so entstanden solche „ideologischen Nischen“ wie die Tschechische Neue Welle, in denen man relativ frei drehen konnte. Nach der Wende ist die Zensur natürlich verschwunden, aber die Selektion, was gedreht wird oder nicht, wurde durch kommerzielle Aspekte übernommen. Ich könnte zwar heute vieles davon drehen, was vor der Wende durch die Zensur unmöglich war, aber es ist zum Teil unmöglich, für diese Filme Geld zu beschaffen. Durchschnittlich dauerte es fünf bis sechs Jahre, bis wir Geld für ein neues Projekt zusammentrieben.

Ein weiterer wichtiger Begriff in Ihrem Repertoire ist der der Imagination. Wie erklären Sie das Verhältnis der beiden Begriffe zueinander?

Ein weiterer wichtiger Begriff in Ihrem Repertoire ist der der Imagination. Wie erklären Sie das Verhältnis der beiden Begriffe zueinander?

Es geht um kommunizierende Gefäße. Was die Freiheit angeht, muss man zwei Freiheiten unterscheiden: die äußere (politische) und die innere. Für das Schaffen ist meines Erachtens die innere weit wichtiger. Diese entscheidet. Sie ist jedoch auch viel anspruchsvoller. „Imagination ist die Königin der menschlichen Fähigkeiten“, wie Charles Baudelaire einst sagte, und die Freiheit hält ihr die Schleppe.

Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“
© SKD, Foto: David Pinzer
Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“

Was genau sammeln Sie dort und woher kommt Ihre Leidenschaft für das Sammeln?

In Ihrem Sommerdomizil Horní Staňkov, etwa 70 km südlich von Pilsen, entsteht seit beinahe 40 Jahren eine Wunderkammer, in der Sie Sammelobjekte mit eigens gefertigten Kunstwerken kombinieren. Was genau sammeln Sie dort und woher kommt Ihre Leidenschaft für das Sammeln?

Ich bin Sammler, ich sammelte schon in der Kindheit: Knöpfe, Steine, Rasierklingenverpackungen und ich sammle immer noch. Das Sammeln halte ich für eine kreative Tätigkeit. Ich sammle „Imagination“, besser gesagt die „magische Imagination“, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Form. Ich sammle Reste der magischen Welt, die einst vorrangig war und weit mehr der menschlichen Mentalität entsprach als der heutige Zustand. Unsere Zivilisation wird vom Rationalismus und Pragmatismus beherrscht, die das imaginative Erleben der Welt beinahe für pathologisch halten.

Die SKD haben eine lange Tradition der Kunstkammer. Wenn Sie ihre Sammlung in Horní Staňkov mit dem Grünen Gewölbe vergleichen, sehen Sie Gemeinsamkeiten?

Die SKD haben eine lange Tradition der Kunstkammer. Wenn Sie ihre Sammlung in Horní Staňkov mit dem Grünen Gewölbe vergleichen, sehen Sie Gemeinsamkeiten?

Eine Kunstkammer unterscheidet sich grundsätzlich von einem klassischen Museum oder einer großen Galerie. Während im Museum oder in einer Galerie die Artefakte nach dem Identitätsprinzip geordnet sind, ordnet man sie in der Kunstkammer nach dem Analogieprinzip. Zwischen dem Museum und der Kunstkammer besteht also der analogische Unterschied genauso wie zwischen der Chemie und der Alchemie oder zwischen der Psychologie und der Psychoanalyse.

Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“
© SKD, Foto: David Pinzer
Ausstellungsansicht "Move little hands... „Move!“

Kunstkammer 2

Ich empfinde jedoch eine mentale Verwandtschaft zwischen dem Grünen Gewölbe und meiner Sammlung in Horní Staňkov. Der Unterschied besteht nur in der Entstehungszeit, jede erkundet den Imagionationsstand einer anderen Epoche.

Ihre Frau Eva hat viele Designs Ihrer Filme entwickelt. Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden aus?

Ihre Frau Eva hat viele Designs Ihrer Filme entwickelt. Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden aus?

Eva hatte ihr eigenes Programm. Egal ob sie malte oder schrieb, bei ihr ging es immer um die „Grundproblematik“, dass sie als Frau geboren wurde. Dabei konnte sie ihre weiblichen Waffen mächtig anwenden. Nur sehr ungern verließ sie zeitweise dieses Programm. Für mich arbeitete sie natürlich sehr gern. Sie hatte den berechtigten Eindruck, dass der Film sichtbarer ist als Bilder. Ich zog sie zur Zusammenarbeit nur in dem Falle hinzu, wenn ich überzeugt war, dass ihr die Aufgabe Spaß machen wird und dass sie sie auf ihre Weise machen kann. Eva war nämlich unbändig, man konnte sie nicht regieren. Was aus ihr herauskam, das kam aus ihr heraus.

Eva Švankmajer, Portrait of Jan, 1969
© ATHANOR – Film production company, Ltd.
Eva Švankmajer, Portrait of Jan, 1969

Was bedeutet es in der gegenwärtigen Zeit Surrealist zu sein?

Was bedeutet es in der gegenwärtigen Zeit Surrealist zu sein?

Wohl jeder Surrealist hätte es anders beantwortet. Ich z. B. achte immer noch das Motto der Surrealisten aus den 30er Jahren: die Welt verändern (Marx), das Leben ändern (Rimbaud). Obwohl ich mir auch, im Unterschied zu den Surrealisten der 30er Jahre, der Utopiehaftigkeit dieses Gedankens bewusst bin; zumindest bei der Veränderung der Welt. Das Leben kann der Surrealismus jedoch verändern, mich hat es etwa verändert.  Surrealismus ist für mich keine Kunstrichtung, sondern ein bestimmter Lebensweg mit einer magischen Lebens- und Weltanschauung. Der Surrealismus lehrte mich folgende Dinge: Zum einen hat er mir beigebracht, mich nicht vor Kollektivität zu fürchten; im Sinne eines kreativen Miteinanders. Zum anderen entwickelte der Surrealismus meine Imagination in eine Breite und Tiefe, von der ich keine Ahnung hatte.

Eva Švankmajerová, Surrealist Personality who lost Face, 1995
© ATHANOR – Film production company, Ltd.
Eva Švankmajerová, Surrealist Personality who lost Face, 1995

Übersetzt

Übersetzt aus dem Tschechischen von Jan Kvapil.

Die Fragen stellten Nina Schwarzenberger und Annegret Klinker.

Einblicke in das Wirken und Schaffen des Künstlerpaares Eva und Jan Švankmajer gibt die Sonderausstellung Move little Hands... "Move!" (19.11.2019-08.03.2020) in der Kunsthalle im Lipsiusbau.

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