text
Der Besucher begibt sich damit in der ersten Nische der Kapelle auf eine Reise durch die Natur bis zur menschlichen Freiheit in der letzten Nische und schlägt damit einen Weg ein, den nach Jacob Böhme jeder Mensch während seines Lebens geht. Das Streben nach Gott und nach Wissen ist für Böhme miteinander verbunden. Wenn wir dem nachgehen, können wir wiedergeboren werden, können den Zustand der Freiheit erlangen, was für Böhme die Einheit von Gott und Natur bedeutet.
In welchem Verhältnis stand Jacob Böhme zur Kirche? Wie äußerte er sich bezüglich der Religion?
Jacob Böhme wurde von seinem Pastor in Görlitz stark dafür kritisiert, dass er als Schuster wagte, sich über Religion zu äußern. Es gab feste Standesregeln und er hatte als Handwerker eigentlich überhaupt keine Kompetenz, sich mit theologischen Themen auseinanderzusetzen. Böhme verstand sich jedoch als guter Lutheraner und er ging jeden Sonntag in die Kirche. Die Kritik, die er gegenüber der Kirche äußerte, hatte mit zweierlei Dingen zu tun: Zum einen sagte Böhme, dass ein rechter Christ keine Kriege führe. Und zum anderen äußerte er sich kritisch gegenüber theologischen Streitigkeiten innerhalb der Kirche. Böhme plädierte dafür, sich lieber um die Gemeinschaft zu kümmern.
Wieso entschieden Sie sich für die Schlosskapelle? Inwiefern passt dieser Ausstellungsort zu Böhme?
Es gab Gespräche über verschiedene Orte. Schlussendlich wurde es die Schlosskapelle, worüber wir sehr glücklich sind. Zum einen passt sie wunderbar mit unserem Konzept des begehbaren Gedankengebäudes Böhmes zusammen. Zum anderen konnten wir seine Hauptbegriffe den Seitennischen zuordnen. Zudem ist die aufwendig restaurierte Decke mit ihrem Schlingrippenwölbe aus verflochtenen Kreisen wie prädestiniert für Jacob Böhme, weil die Sphäre in seinem System so ein wichtiger Begriff ist. Ich finde auch, dass es passt, dass Böhme zurück zur Kirche kommt; er kommt sozusagen nach Hause.
Welchen Beitrag leisten Ihrer Meinung nach das Denken und die Ansätze Böhmes für unsere heutige Gesellschaft?
Ich denke, dass Böhme durchaus viele Dinge gesagt hat, die für uns heute noch relevant sind. Alle Kirchen in Böhmes Zeit betonten die Erbsünde, wonach die Menschen unfrei geboren seien. Böhme aber unterstreicht eine Erb-Freiheit. Weil der Mensch mit einem Gewissen ausgestattet ist, sind wir frei. Böhme thematisiert zudem stets die individuelle Verantwortung, die Freiheit mit sich bringt. Wir hätten sowohl das Göttliche als auch das Teuflische in uns und was wir aus uns machen, sei uns selbst überlassen. Natürlich sind seine Aussagen gegen Krieg und Gewalt relevanter denn je sowie seine Überzeugung, dass es gute Menschen überall gäbe und nicht nur im Christentum. Seine Auffassung geht in die Richtung unseres heutigen Begriffs der Toleranz. Konfessionen waren Böhme weniger wichtig, als das Handeln des Menschen. Die ökumenische oder überkonfessionelle Idee ist wesentlich für Böhmes Denken. Zudem finde ich essentiell, dass er ein weibliches Element in der Gottheit sieht. Das Kreative in Gott, das Schöpfungsmoment, nennt er die Sophia oder auch die Gottesweisheit. Diese Idee geht zurück auf eine sehr alte christliche Tradition. Der griechische Name für die göttliche Weisheit ist Sophia und wurde bereits im frühen Christentum als eine Person angesehen. Diese Idee blieb jedoch nicht über die Jahrhunderte hinweg stabil, mal kam sie wieder auf, dann verschwand sie erneut. Für Böhme löst sie ein wissenschaftliches Problem. Da er glaubt, dass Gott alle Elemente und Prinzipien des Kosmos umfassen muss, muss notwendigerweise auch das Weibliche präsent sein.
Wie erklären Sie sich die geringe Popularität Böhmes? Warum ist er im Gegensatz zu den Niederlanden und Großbritannien in Deutschland so unbekannt?
Jacob Böhme war sehr einflussreich; er ist einer der originellsten und einflussreichsten deutschen Schriftsteller. Es gibt eine riesige Rezeption in der Kunstgeschichte, in der Literatur und in der Philosophie. Hegel nannte ihn den ersten deutschen Philosophen. Dann ist die moderne Kunst zu erwähnen: Kandinskys Idee von abstrakter Kunst bezieht sich auf Böhmes Idee einer ewigen Geburt. Dass Böhme hierzulande wenig bekannt ist, hat vor allem mit Fächergrenzen zu tun. Als religiöser Schriftsteller wurde Böhme immer der Theologie zugeordnet, aber die konfessionelle Kirchengeschichte nahm Böhme als Laie nicht ernst und hat ihn lange Zeit als „Fanatiker“ abgetan. Erst vor wenigen Jahren wurde er schließlich wegen seiner radikalen poetischen Sprache von der Literaturwissenschaft entdeckt. Das Resultat ist, dass Böhme in anderen Ländern mehr untersucht wurde als in Deutschland. Im angelsächsischen und französischen Raum ist er bekannter. Zudem muss man aber sagen, dass seine Schriften schwer zu verstehen sind. Es ist erst einmal eine Hürde Böhme zu lesen, aber ich würde sagen es lohnt sich, wenn man sich die Zeit nimmt und etwas Geduld für Böhme.
In welchem Verhältnis steht Böhmes Philosophie zur Politik seiner Zeit? Inwieweit können Philosophen Ihrer Meinung nach Einfluss auf politische Aktivitäten nehmen?
Böhmes Kritik der sozialen und politischen Zustände seiner Zeit sorgte für Aufsehen und Diskussion. Aber es waren wichtige Anstöße, die er machte. Auch wenn Böhme die Institutionen seiner Zeit nicht ändern konnte und die Dinge, die er kritisierte, weiterhin so liefen wie bisher, hat er etwas Wichtiges angestoßen. Böhme und andere Spiritualisten haben den Weg geebnet für das, was wir heute als „Menschenrechte“ bezeichnen – Gewissensfreiheit, die Rechte von Minderheiten, eine Gesellschaft, die für alle gerecht ist. Böhme und weitere Spiritualisten betonten, dass der innere Charakter eines Menschen wichtiger sei als äußere Eigenschaften wie Geschlecht, Hautfarbe, Konfession oder sozialer Rang. Wenn Böhme kein Autodidakt gewesen wäre, wenn er eine Stelle als ordinierter Theologe oder Universitätsprofessor inne gehabt hätte, dann hätte er diese wegen solcher Aussagen vermutlich verloren. Es ist natürlich weiterhin so, dass die Gesellschaft Querdenker braucht, die uns zwingen in den Spiegel zu schauen, damit wir über unsere Grundfeste nachdenken.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Martin.