8. April 2020

„Welke Blätter“ für den „Sonderauftrag Linz“

Friedrich Olivier (1791-1859), „Welke Blätter“, 1816

Provenienzrecherche

In den Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden systematisch die Provenienzen sämtlicher Zugänge von Kunstwerken seit 1933 untersucht. Im Rahmen des Recherche-, Erfassungs- und Inventurprojekts "Daphne" erforschen Wissenschaftler*innen dabei die Herkunft von Objekten und bereiten gegebenenfalls ihre Restitution an die ehemaligen Eigentümer bzw. deren Erben vor. An dieser Stelle stellen Mitarbeiter*innen ihre Arbeit vor.

Im Winter 1816/17 schufen

Im Winter 1816/17 schufen Julius Schnorr von Carolsfeld und Friedrich Oliver eine Reihe zarter Zeichnungen verwelkter Blätter. Sie sind Ausdruck der tiefen Freundschaft und künstlerischen Verbundenheit beider Zeichner. Über viele Jahrzehnte blieben diese Werke im Besitz der Familie Olivier und ihrer Nachkommen. Im Januar 2015 kehrte eines davon aus Dresden wieder dorthin zurück.

Bild

Friedrich Olivier (1791-1859), „Welke Blätter“, 1816 Bleistift und Feder, 172 x 276 mm, ehemalige Inventarnummer C 1944-102

Doch der Reihe nach:

Doch der Reihe nach: Im Rahmen des „Daphne-Projektes“ werden im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Druckgrafiken und Zeichnungen auf ihre Herkunft untersucht. Ein umfangreiches Konvolut bilden dabei Werke, die ursprünglich für den „Sonderauftrag Linz“ erworben wurden und sich noch heute in Dresden befinden. Für das geplante „Führermuseum“ trugen zunächst Hans Posse — seit Juni 1939 Adolf Hitlers „Sonderbeauftragter“ — und nach seinem Tod Hermann Voss tausende Kunstwerke zusammen. In Dresden hatte der „Sonderauftrag“ seinen Dienstsitz. Hier wurde ein Teil der akquirierten Werke begutachtet, restauriert und fotografiert, bevor man sie an verschiedene Depots weiterleitete. Neben einigen Gemälden blieb nach 1945 ein größeres Konvolut grafischer Arbeiten aus dem „Sonderauftrag“ in Dresden zurück, da es mit den Sammlungsbeständen der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft nach Schloss Weesenstein ausgelagert worden war und dort dem Abtransport in die Sowjetunion durch die Trophäenbrigaden entging.

Die kleine Bleistiftzeichnung Friedrich Oliviers, die auf dem Blatt mit "den 11ten December 1816" datiert ist, gehört zu diesem Konvolut. Im Inventar des Kupferstich-Kabinetts war zu dem Blatt lediglich „erworben von Dr. Jantzen“ vermerkt. Der ehemalige Bremer Rechtsanwalt Johannes Jantzen, der zum Zeitpunkt des Verkaufs in Wien ansässig war, stand in reger Geschäftstätigkeit mit dem „Sonderauftrag“. Die im Bundesarchiv als Fotoabzug befindliche Rechnung belegt, dass der Ankauf „1 Handzeichnung von Ferdinand von Olivier `Welke Blätter´“ am 1. April 1944 für 3.000 Reichsmark in Kooperation mit der Kunsthandlung Kurt Köster, Hamburg, erfolgte.

Bild 2

Auszüge aus dem Auktionskatalog Nr. 201 des Kunstantiquariats C. G. Boerner, Leipzig, 28.4.1939

Weitere Nachforschungen ergaben

Weitere Nachforschungen ergaben, dass sie zuvor am 28. April 1939 auf einer Auktion beim Kunstantiquariat C.G. Boerner in Leipzig angeboten wurde. Der verschlüsselte Einlieferername zu der Zeichnung lautete „Besitz W (118)“.

Bild 3

Auszüge aus dem Auktionskatalog Nr. 201 des Kunstantiquariats C. G. Boerner, Leipzig, 28.4.1939

Aus den bereits erfolgten Recherchen

Aufgrund bereits erfolgter Recherchen zu ähnlichen Zeichnungen in den grafischen Sammlungen in Wien (Albertina) und Berlin (Kupferstichkabinett) erhielten wir kollegiale Hinweise zur Auflösung des Kürzels: Die Eigentümerin der insgesamt 19 bei C. G. Boerner angebotenen Zeichnungen war Dr. Marianne Schmidl, eine österreichische Ethnologin, die nach dem „Anschluss“ Österreichs aus ihrem Dienst an der Wiener Nationalbibliothek entlassen worden war. Um die zwangsweise erhobene „Judenvermögensabgabe“ zahlen zu können, musste sie die Zeichnungen verkaufen. Als Einlieferer agierte dabei ihr „arischer“ Schwager Kurt Wolf. Marianne Schmidl wurde 1942 in das Ghetto Izbica deportiert und 1950 für tot erklärt.

Die Zeichnungen gelangten aus dieser als „Zwangsverkauf“ einzuordnenden Auktion direkt oder indirekt in verschiedene grafische Sammlungen und so haben bisher neben Dresden die Albertina in Wien, das Kupferstichkabinett Berlin, die National Gallery of Art in Washington, die Kunsthalle Hamburg und die Städtische Galerie im Lenbachhaus München Werke aus der Sammlung restituiert. Die bewegende Geschichte ihrer ehemaligen Eigentümerin und der Weg zur Restitution kann auch wunderbar in einem von den Kolleginnen des Lenbachhauses mit den Nachkommen Marianne Schmidls geführtem Interview nachgelesen werden.

Von Katja Lindenau

Dr. Katja Lindenau

Dr. Katja Lindenau ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im „Daphne“-Projekt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und verantwortlich für die Provenienzrecherche im Kupferstich-Kabinett.

Katja Lindenau mit Teilnehmern des Deutsch-Amerikanische Austauschprogramms zur Provenienzforschung für Museen (PREP)
© SKD, Foto: Andreas Diesend
Katja Lindenau mit Teilnehmern des Deutsch-Amerikanische Austauschprogramms zur Provenienzforschung für Museen (PREP) März 2019, Dresden, Sektion Grafik/ „Sonderauftrag Linz“
Zum Seitenanfang