8. April 2020

Raubkunst aus Schloss Wilanów bei Warschau

Provenienzrecherche

In den Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden systematisch die Provenienzen sämtlicher Zugänge von Kunstwerken seit 1933 untersucht. Im Rahmen des Recherche-, Erfassungs- und Inventurprojekts "Daphne" erforschen Wissenschaftler*innen dabei die Herkunft von Objekten und bereiten gegebenenfalls ihre Restitution an die ehemaligen Eigentümer bzw. deren Erben vor. An dieser Stelle stellen Mitarbeiter*innen ihre Arbeit vor.

Ein für alle Beteiligte

Ein für alle Beteiligte glückliches Ende fand die Recherche zu zwei hinreißend schönen Lackmöbeln im Kunstgewerbemuseum Dresden — einem kleinen französischen Damenschreibtisch mit einer leuchtend roten Lackierung auf der Innenseite aus der Werkstatt des Pariser Ebenisten Jacques Dubois (1694—1763) und einem reich verzierten Kabinettschrank aus der Werkstatt des Dresdner Hoflackierers Martin Schnell (1675–1740). Letzterer fertigte in über 20jähriger Tätigkeit eine Vielzahl von Lackmöbeln, Wandvertäfelungen und dekorativen Ausstattungsstücken für die Residenzen Augusts des Starken in Sachsen und Polen.

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In den Inventarbüchern

In den Inventarbüchern des Kunstgewerbemuseums vor 1945 sind die beiden Möbel nicht aufgeführt, sie wurden erst 1989 mit dem Hinweis "unbekannte Herkunft" erfasst - was auf einen Zugang nach dem Zweiten Weltkrieg hindeutet. Bei der Schnellerfassung in den 1960er bis 1980erJahren wurden im Kunstgewerbemuseum in den Inventarbüchern und auf den Karteikarten nur sehr selten historische Markierungen aufgenommen, so dass wir erst bei der Überprüfung der Möbel im Rahmen des „Daphne“-Projektes zwei Papieraufkleber mit dem Hinweis „PAŁAC WILLANOWSKI“ entdeckten, die auf das am südlichen Ende des Warschauer Königsweges gelegene Schloss Wilanów verweisen, dem ältesten Kunstmuseum Polens.

Im Kunstgewerbemuseum und in den sächsischen Archiven waren keinerlei Unterlagen zu den Möbeln und den Vorgängen in Wilanów im Dritten Reich aufzufinden. Daher kontaktierten wir das Palastmuseum Schloss Wilanów mit der Bitte um nähere Auskunft zu den Aufklebern. Die dortige Kuratorin reagierte innerhalb weniger Tage "mit wahrer großer Freude" auf den für sie unerwarteten Fund und konnte den Standort der Möbel in Wilanów bis 1944 anhand von historischen Fotos, Inventareinträgen, Brief- und Aktenverkehr sowie Publikationen eindeutig belegen. Nur als Beispiel sei der 1940 angefertigte Katalog „Sichergestellte Kunstwerke im Generalgouvernement“ genannt, der beschlagnahmte Kunstwerke in den von deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg besetzten polnischen Gebieten aufzeigt. Von den darin erfassten 521 Positionen aus ganz Polen stammen allein 74 aus Wilanów. Seit Kriegsende galten der Damenschreibtisch und der Kabinettschrank als vermisst und waren in der internationalen Suchdatenbank des polnischen Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe registriert. 

Die dichte Quellenlage zu den Möbeln endet mit dem Abtransport aus Wilanów 1944 durch die deutsche Wehrmacht. Trotz intensiver Recherchen ist für die kommenden 45 Jahre bis zur Inventarisierung im Kunstgewerbemuseum nicht nachweisbar, wo sich der Kabinettschrank und der Damenschreibtisch befanden. Es bleiben nur Mutmaßungen: Gelangten sie gleich 1944 nach dem Abtransport durch den für Warschau zuständigen Kunsthistoriker Dr. Alfred Schellenberg nach Sachsen? Wurden sie im Februar 1945 beim Kunsttransport von Schlesien nach Coburg durch den Provinzialkonservator von Niederschlesien Günther Grundmann in Zittau oder Herrnhut zurückgelassen? War aufgrund des Vorrückens der Roten Armee ein Weitertransport nicht mehr möglich? Oder waren sie bei den seit Anfang 1945 im Auftrag des Generalgouverneurs Hans Frank auf dem Schienenweg in zahlreichen Waggons durchgeführten Abtransporten polnischen Kulturgutes dabei? Wir wissen es nicht. Für beide Möbel ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sie im Herbst 1944 von der deutschen Wehrmacht in Wilanów gestohlen wurden. Wann und wie sie ihren Weg in das Dresdner Kunstgewerbemuseum gefunden haben, wird vermutlich nicht mehr zu klären sein - ein legaler Erwerb ist auszuschließen.

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Restitutionen über Ländergrenzen

Restitutionen über Ländergrenzen hinweg sind meist etwas aufwendig. In diesem Fall konnte unerwartet schnell auf politischer und juristischer Ebene eine Einigung erzielt werden. Der damalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Stanislaw Tillich übergab die beiden Möbel in Wilanów bei einem Staatsbesuch feierlich an den polnischen Kulturminister Piotr Glinski. Die Möbel wurden nach ihrer Konservierung und Restaurierung wieder in den Räumen aufgestellt, in denen sie bis 1944 zu besichtigen waren: Der Damenschreibtisch im Appartement der Fürstin Izabela Lubomirska und der Kabinettschrank in den Chinesischen Räumen.

Von Barbara Bechter

Dr. Barbara Bechter

Dr. Barbara Bechter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im „Daphne“-Projekt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und verantwortlich für die Provenienzrecherche im Kunstgewerbemuseum, der Porzellansammlung und im Mathematisch-Physikalischen Salon.

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