15. Juni 2020

Einblicke in das Dresdner Paper Project mit Lisa Jordan

Giulio Romano, Phantastischer Flügel mit Krallen und Auge

Paper Project

Das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist seit 2018 Partner im Paper Project der Getty Foundation. Ziel des Projektes ist es, die kuratorische Ausbildung junger Kunsthistoriker*innen in grafischen Sammlungen zu fördern. In diesem Rahmen läuft in Dresden inzwischen das zweite von zwei aufeinander aufbauenden Projekten. Dabei geht es um die Erschließung und Katalogisierung der italienischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts. Lisa Jordan ist seit Anfang März als wissenschaftliche Assistentin Teil des Projekt-Teams und vor allem mit der genauen Untersuchung des Bestandes hinsichtlich der materiellen Beschaffenheit und der historischen Spuren an den Blättern beschäftigt. Im Interview berichtet sie von den Besonderheiten ihrer Aufgabe und den Herausforderungen in Zeiten der Corona-Pandemie.

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© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Lisa Jordan, wissenschaftliche Assistentin am Kupferstich-Kabinett

Um was geht es in Ihrem Projekt und womit sind Sie derzeit beschäftigt?

Um was geht es in Ihrem Projekt und womit sind Sie derzeit beschäftigt?

Das Dresdner Kupferstich-Kabinett gehört zu den bedeutendsten grafischen Sammlungen in Deutschland und enthält wunderbare Meisterwerke wie z. B. Correggios wichtige Vorzeichnung zu seinem Altarbild der Madonna mit dem Heiligen Georg. Das Gemälde befindet sich ebenfalls in Dresden, in der Gemäldegalerie Alte Meister. 

Neben solchen Stars

Neben solchen Stars der Sammlung gibt es viele unbekannte Schätze zu entdecken und zu erforschen. So wurde ein großer Teil der italienischen Zeichnungen bisher noch nicht systematisch aufgearbeitet und veröffentlicht. Das soll sich mit dem Paper Project nun ändern! Geplant ist neben der schrittweisen Veröffentlichung der Zeichnungen in der Online Collection ein wissenschaftlicher Bestandskatalog der italienischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts. Wir sprechen hier von einem Konvolut von ungefähr 500 Zeichnungen, von denen viele zusammen mit den Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts in der zweiten Garnitur aufbewahrt werden.

Vorzeichnung für Correggios Altarbild der Madonna des heiligen Georg (Madonna di San Giorgio) in der Gemäldegalerie Alte Meister, vor 1530
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Vorzeichnung für Correggios Altarbild der Madonna des heiligen Georg (Madonna di San Giorgio) in der Gemäldegalerie Alte Meister, vor 1530

Meine Aufgabe ist es

Meine Aufgabe ist es, in einem ersten Schritt alle diese Blätter systematisch zu begutachten, die Technik ihrer Herstellung und ihren Zustand zu beschreiben und alle bereits vorhandenen Informationen in unserer Datenbank „Daphne“ zusammenzufassen. Glücklicherweise kann ich auf eine Vielzahl von Ressourcen zurückgreifen, die während der nunmehr 300-jährigen Sammlungsgeschichte des Kabinetts zusammengetragen wurden. Dazu gehören u. a. die historischen Inventarbücher oder auch analoge Dossiers mit Material zu den einzelnen Zeichnungen. Besonders nützlich sind hier auch die jüngsten Ergebnisse aus der ersten Projektphase des Paper Projects, bei der im Winter 2018 auf Einladung der Direktorin Stephanie Buck und der Projektleiterin Gudula Metze internationale Grafikexpert*innen in einem Workshop zusammengekommen waren, um die italienischen Blätter im Kupferstich-Kabinett zu sondieren und zu diskutieren.

Am Ende sollen die Zeichnungen auf einem gleichmäßigen Niveau erfasst und erschlossen sein. Das ist eine wichtige Grundlage für die Katalogisierungsarbeit, gerade auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen anderer Museen und Institute.

Sind Sie bei Ihren Untersuchungen auf Besonderheiten gestoßen oder etwas, das Ihnen besonders gefallen hat?

Sind Sie bei Ihren Untersuchungen auf Besonderheiten gestoßen oder etwas, das Ihnen besonders gefallen hat?

Noch habe ich nicht alle Zeichnungen gesehen, aber man hat natürlich schnell Lieblinge, die besonders faszinieren. Für mich ist das z. B. die Zeichnung mit der Ansicht einer italienischen Stadt, von der wir (noch) nicht wissen, wer sie geschaffen hat. Sie gefällt mir, weil sie so überraschend klein und fein ist, aber auch einfach, weil mich diese Vedute sehr an Italien erinnert. Dort habe ich lange gelebt und gerade in der aktuellen Pandemie-Situation fühle ich mich dem Land tief verbunden. 

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© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Italienische Platzansicht mit antiken Ruinen, um 1548

Abgesehen von

Abgesehen von der Beschäftigung mit den Zeichnungen ist es immer schön, einem auf den Passepartouts geführten, wissenschaftlichen Dialog zu begegnen. In der Dresdner Sammlung sind viele der Blätter erfreulicherweise noch auf die historischen Unterlagekartons montiert. Auch Kartons, die aus konservatorischen Gründen abgenommen wurden, blieben häufig erhalten. In anderen Sammlungen ist das nicht so umfassend der Fall, und so bietet sich speziell in Dresden eine zusätzliche Informationsquelle. Hier manifestiert sich eine Tradition der Kennerschaft, bei der die Kunsthistoriker*innen zur Abwechslung einmal selbst den Stift in die Hand nahmen. So haben über die Zeit verschiedene Koryphäen der Zeichnungsforschung mit Bleistift ihre Anmerkungen, v. a. zu Fragen der Zuschreibung, neben die Zeichnungen gesetzt. Das kann manchmal sogar recht witzig sein, wie im Fall einer Zuschreibung an Rosso Fiorentino, mit der leidenschaftlichen Erwiderung „Quatsch!“

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© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Notizen auf dem Unterlagekarton einer Zeichnung des Trojanischen Pferdes,16. Jh (Detail)

Meistens

Meistens geht es jedoch sachlich zu und so entwickelt sich um die Zeichnung auf der historischen Unterlage eine Art virtuelles, Generationen übergreifendes Gespräch, das wir nun in unsere Datenbank übernehmen und dort weiterführen. Es ist ein gutes Gefühl an diesem Austausch selbst mitzuwirken.

Meistens geht es

Kleine Glücksmomente ergeben sich auch, wenn man zum Beispiel beim Durchleuchten des Papiers ein Wasserzeichen erkennt, also ein in die Struktur des Papiers eingearbeitetes, bei normaler Beleuchtung erstmal nicht sichtbares Symbol, das mehr über die Herkunft einer Zeichnung verrät. Die Freude hält selbst dann noch an, wenn die Entdeckung zu der Einsicht führt, dass ein Blatt womöglich doch nicht so italienisch ist, wie angenommen. Wie etwa bei der Zeichnung eines alten Mannes mit Laterne, die ehemals als Werk der deutschen Schule in den Inventarbüchern  vermerkt war, irgendwann den Italienern zugeordnet wurde und deren Wasserzeichen nun doch eher in den Norden verweist.

Durchlichtaufnahme mit wappenförmigem Wasserzeichen und Sammlungsstempel des Dresdner Kupferstich-Kabinetts
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Durchlichtaufnahme mit wappenförmigem Wasserzeichen und Sammlungsstempel des Dresdner Kupferstich-Kabinetts

Sie hatten eben erst begonnen

Sie hatten eben erst begonnen an dem Projekt mitzuwirken und sahen sich coronabedingt unverhofft mit einer ganz neuen Situation konfrontiert. Inwiefern hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Es ist gewissermaßen Glück im Unglück, dass sich die erste Untersuchung der Zeichnungen, der Schritt, den wir auch manchmal „Autopsie“ nennen, ganz gut alleine durchführen lässt. Dafür konnte ich die doch recht stillen Wochen nutzen, d. h. soweit ich vor Ort sein konnte. Denn auch wir am Museum mussten uns hierin, wie alle, zurücknehmen und etliche Aufgaben mit nach Hause nehmen. Allerdings kann man Zeichnungen und ganz allgemein Kunst nur bedingt im Homeoffice erforschen, dank oder trotz aller Digitalisierung. Darum gibt es unseren wunderbaren Studiensaal in dem alle zur direkten Auseinandersetzung mit der Kunst willkommen sind und wo man den Objekten für gewöhnlich näherkommt als in den meisten anderen Museen. Ich freue mich sehr auf die Zeit, wenn diese Art von Kontakt bald wieder möglich ist!

Auch als einsame Forscherin kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man gerne die  Kolleg*innen zu Rate ziehen würde, was ja auch ein zentrales Anliegen des Paper Projects ist. Doch wie gewohnt in intensiver Diskussion über einer Zeichnung die Köpfe zusammenzustecken, das geht gerade nicht mehr. Also finden wir andere Wege, uns im Team auszutauschen. Es gibt auch eine fachliche Sensibilisierung für das Thema „Nähe und Schutz“. In Kupferstichkabinetten ist man seit jeher vertraut damit, Handschuhe zur Schonung der Kunst zu tragen. Sie stehen gewissermaßen emblematisch für den Wunsch, Grafik zu begreifen und gleichzeitig zu behüten. Dass ähnliche Schutzmittel derzeit im Alltag der ganzen Gesellschaft die Bedeutung gegenseitiger Rücksichtnahme erhalten, finde ich bemerkenswert.

Was reizt Sie besonders an Ihrer Aufgabe?

Was reizt Sie besonders an Ihrer Aufgabe?

Der Reiz meiner Tätigkeit im Kabinett schließt in gewisser Weise an den letzten Punkt an, Stichwort „hands-on“! Es ist vor allem die im Museum gegebene Nähe zu den materiellen Kunstwerken, die wir nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch buchstäblich beleuchten und durchdringen. Bei dieser intensiven Arbeit am Objekt helfen uns ganz maßgeblich auch die Restaurator*innen. Ich spreche hier bewusst von „Objekt“, denn wir tendieren dazu, Zeichnungen als flächige Strukturen aus quasi immateriellen Strichen wahrzunehmen, die scheinbar einfach digital oder gedruckt reproduzierbar sind. Dabei sind Zeichnungen vielschichtige Gebilde, die mitunter aus mehreren Papierlagen und übereinander aufgebrachten Zeichnungen in verschiedenen Techniken wie Rötel oder Feder und Tinte auf Vorder- und Rückseite eines Blattes bestehen. Das Drehen und Wenden der Dinge gehört also zu einer umfassenden Untersuchung der Blätter unbedingt dazu. Zusammen mit den z. T. beschrifteten oder beklebten Unterlagekartons oder klappbaren Passepartouts entsteht so ein dreidimensionaler Komplex aus Texturen und Informationen, der uns auf eine entsprechend vielseitige Spurensuche führt. Man kann wirklich von einer Art Detektivarbeit sprechen, bei der wir nicht nur den „Tatort Kunstwerk“ untersuchen, sondern auch allen möglichen anderen Hinweisen, seien es Informationen aus dem Museumsarchiv oder Tipps unserer Kolleg*innen, nachgehen.

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