7. Juli 2021

Die verlorene Sammlung

Tafel 3: Foto von verschiedenen frühen Meissener Objekten

Intro

Die Dresdner Porzellansammlung gründet sich auf die weltberühmte Keramiksammlung August des Starken (1670–1733) und seines Sohnes August III. (1696–1763). Deren Kollektion umfasste im späten 18. Jahrhundert knapp 40.000 Porzellane und Steinzeuge. Davon sind heute lediglich etwa 9.000 in Dresden erhalten. Wenig ist über die bewegte Geschichte der anderen „verlorenen“ Stücke bekannt. Allerdings war es möglich, bisher fast 350 Meissener und etwa 450 ostasiatische Porzellane der ehemaligen königlichen Sammlung in mehr als 60 Museen und öffentlich zugänglichen Sammlungen weltweit ausfindig zu machen.

Karolin Randhahn

Karolin Randhahn, die sich diesem spannenden Thema im Rahmen des Forschungsprojektes „Im Wettstreit mit dem Kaiser von China“ widmete, berichtet über die verschlungenen Wege, auf denen tausende Stücke die Porzellansammlung verließen, interessante Objektbiografien und einen Glücksfall für die Provenienzforschung.

Frage 1: Identifikation der historischen Sammlung

Wie ist es möglich herauszufinden, ob eine Keramik zur historischen Sammlung von August dem Starken oder seinem Sohn gehörte?

Wir sind in der glücklichen Lage, auf eine ganze Reihe aufschlussreicher zeitgenössischer Dokumente aus dem 18. Jahrhundert zurückgreifen zu können. Im Rahmen unseres Forschungsprojektes haben wir die umfangreichen Inventare des Japanischen Palais von 1721 und 1779 ausgewertet, wo die Porzellane damals aufgestellt waren oder zumindest aufbewahrt wurden. Im späteren der beiden Inventare sind immerhin rund 9.500 Meissener Porzellane und Steinzeuge vermerkt.

Dokument, Titelblatt
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv. Nr. 324
Titelblatt des Inventars des Japanischen Palais 1721

Frage 2: Jedes einzelne Stück ist dort benannt

Jedes einzelne Stück ist dort benannt?

Ja. Und was die Sammlung so einzigartig macht, ist, dass die in den Inventarbüchern vergebenen Nummern auch auf den Objekten vermerkt wurden – entweder mit Farbe aufgetragen oder sogar eingeschliffen. Durch diese sogenannten „Palaisnummern“ ist es möglich, noch heute den Inventareinträgen Stücke zweifellos zuzuordnen. Egal, ob sich diese in unserem Museum befinden, oder in anderen öffentlichen oder privaten Sammlungen.

Frage 3: Ganz einfach?

Wenn Sie das so erzählen, klingt das erstmal ganz einfach. Ist es das wirklich?

In der Theorie natürlich schon. Es gibt durchaus viele Stücke, bei denen die Zuordnung zu den Inventareinträgen zweifelsfrei erfolgen konnte. Besonders die eingravierten Palaisnummern haben die letzten fast 300 Jahre sehr gut überstanden. Bei den Nummern, die nur aufgemalt wurden, ist das leider nicht immer der Fall. Besonders bei den frühen Meissener Porzellanen mit Reliefapplikationen sind leider häufig nur noch Reste der Palaisnummer erhalten. Dann ist es schwer oder sogar unmöglich, im Inventar den ursprünglichen Eintrag zu einem Stück ausfindig zu machen. Hier müssen wir uns mit dem Wissen begnügen, dass das Objekt Teil des Bestandes im Japanischen Palais und damit der königlichen Sammlung war.

Foto, Unterseiten von Korpus und Deckel mit Resten der historischen Palaisnummer
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer
Überreste der Palaisnummer auf dem Fuß und dem Deckel eines Deckelpokals um 1715/1720, Inv. Nr. PE 905

Video: Palaisnummer

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Was uns Kunstwerke über ihre Herkunft verraten:
Was uns Kunstwerke über ihre Herkunft verraten: Die "Palaisnummer"

Frage 4: Warum nicht mehr in Dresden

Wie kommt es eigentlich, dass sich heute so viele Porzellane der historischen Sammlung nicht mehr in Dresden befinden?

Frage 4: Warum nicht mehr in Dresden

Der größte Teil der historischen Sammlung ist verloren. Der traurige Fakt ist, dass von den etwa 9.500 Meissener Porzellanen und Steinzeugen, die 1779 im Inventar des Japanischen Palais aufgelistet wurden, heute nur noch knapp 1.500 in der Porzellansammlung identifiziert werden konnten. Die Gründe für diese enorme Bestandsverminderung sind in der 300-jährigen Sammlungsgeschichte zu suchen, die nicht nur zwei Weltkriege einschließt, sondern auch mehrere Umzüge des Gesamtbestandes. Sicher ist auch ein Teil der Objekte zerbrochen oder komplett zerstört.

Foto, auf der Seite liegende, teilweise zerbrochene und restaurierte große Vase mit Reliefdekor
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer
Stark beschädigte Vase um 1716/21, Inv. Nr. PE 8308

Frage: Auf anderen Wegen verlassen

Allerdings haben auch sehr viele Stücke die Sammlung auf anderen Wegen verlassen: Sie wurden systematisch und gezielt eingetauscht, verkauft oder versteigert. Bekannt ist auch, dass Sammlungsstücke als diplomatische Geschenke eingesetzt wurden. Im letzten Jahrhundert wurden zusätzlich Porzellane als Entschädigung für den Thronverzicht an die Wettiner übergeben, zugunsten ihrer Abfindung versteigert oder an die Nachfahren der ehemaligen sächsischen Herrscherfamilie restituiert.

Frage 5: Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Wir wissen mittlerweile, dass es ab dem frühen 19. Jahrhundert unter mehreren Sammlungsdirektoren gängig war, vermeintliche „Dubletten“ im historischen Bestand zu verkaufen oder zum Tausch zu nutzen. Diese Praxis wird einen enormen Beitrag zur Minderung der Sammlungsgröße und zur Verbreitung der Objekte weltweit beigetragen haben. Denn durch ihre königlich-kurfürstliche Provenienz, die gleichzeitig die Echtheit und das Alter der Stücke belegt, waren und sind sie bei Museen und Sammlern gleichermaßen beliebt. 

Frage 6: Was sind denn Dubletten?

Was sind denn Dubletten?

„Dublette“ ist ein Begriff, der sowohl im 19. als auch im frühen 20. Jahrhundert weite Verwendung fand. Die damaligen Sammlungsdirektoren verstanden darunter - dem Zeitgeist entsprechend - Gegenstücke bzw. Stücke von ähnlicher Art, die in mehrfacher Ausführung vorhanden waren. Stellen Sie sich darunter also zum Beispiel dutzende gleich große, gleich dekorierte Schalen vor. In ihrer Masse wurden solche Keramiken als „Dubletten“ für den Sammlungsbestand als „entbehrlich“ betrachtet. Direktor Ernst Zimmermann (1866–1940) beschreibt sie um 1919 als „Lückenbüßer“, die dem Publikum nichts Neues bieten. Historisch gesehen stand die Veräußerung von Dubletten der historischen Sammlung häufig auch im Zusammenhang mit der Mittelakquise für den Ausbau der Sammlung in anderen Bereichen.

bearbeitetes Foto, acht eckige Sakeflaschen mit meergrünem Fond abgewechselt mit farbiger Malerei auf weißem Grund
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer
Acht erhaltene Meissener Sakeflasche mit der Palaisnummer N 291 W

Frage 7: Warum gab es so viele gleiche Stücke?

Warum gab es in der Sammlung so viele gleiche Stücke?

Frage 7: Warum gab es so viele gleiche Stücke?

Zum einen ist das Medium Porzellan als Massenware zu verstehen. Obwohl die Stücke in Handarbeit gefertigt wurden, wurden gleichartige Formen und Motive - auch im Zuge der Wirtschaftlichkeit - in den Werkstätten meist in großer Zahl hergestellt. Für August den Starken waren diese Gegenstücke ein wichtiger Bestandteil des Ausstellungskonzeptes im Japanischen Palais. Denn die enorme Menge an Porzellan sollte in üppigen, symmetrischen Wandarrangements präsentiert werden. Während die Gegenstücke hierbei eine zentrale Funktion haben, wurden sie in den späteren musealen Bestrebungen, einen enzyklopädischen Überblick zu geben, als überflüssig betrachtet.

Foto, Meissener Tierplastiken und große Vasen im Ausstellungsraum
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Porzellansammlung, Fotoarchiv
Ausstellung des Meissener Porzellans im Johanneum, um 1914-1937

Frage 8: Und muss man sich den Verkauf der Sammlung vorstellen?

Und wie genau muss man sich den Verkauf der Sammlung vorstellen?

Da die Verkäufe über solch einen langen Zeitraum in – letztlich - enormem Umfang praktiziert wurden, gab es auch hier vielfältigste Wege. In vielen Quellen sieht man zum Beispiel Verkäufe von einzelnen Stücken oder kleineren Objektgruppen an deutsche Händler. Teilweise wurden sie auch gegen gewünschte Ware in Zahlung gegeben. Es spricht auch vieles dafür, dass zumindest vereinzelt private Sammler im 19. Jahrhundert Porzellan direkt aus dem Japanischen Palais erwarben. Demgegenüber stehen die berühmten großen Versteigerungen des frühen 20. Jahrhunderts, bei denen 1919 und 1920 fast 2.000 Keramiken aus der Porzellansammlung veräußert wurden. Dies waren zum größten Teil, wenn auch nicht ausschließlich, Stücke aus dem historischen Bestand.

Frage 9: Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Gab es Stücke, die sich als besonders beliebt bei den Sammlern erwiesen? Sozusagen Verkaufsschlager?

Frage 9: Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Zumindest was die beiden Versteigerungen 1919 und 1920 angeht, kann klar festgestellt werden, dass die höchsten Beträge für die angebotenen Meissener Tiere gezahlt wurden. Diese großen Tierplastiken gehören zu den bekanntesten und eindrucksvollsten Erzeugnissen der Meissener Manufaktur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie wurden exklusiv für den König produziert und sind als exzeptionelle Werke der Porzellankunst mit prestigeträchtiger Provenienz seit jeher unter Sammlern besonders beliebt. Heute sind viele der Tiere in den berühmtesten Museen weltweit wiederzufinden. Dazu gehören unter anderem das Metropolitan Museum of Art und die Frick Collection in New York, das Museum of Fine Arts in Boston, die National Museums Sottland in Edinburgh und insbesondere die Cité de la Céramique in Sèvres.

Foto, Tafel mit drei Meissener Tierplastiken
© Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek.
Meissener Tierplastiken im Auktionskatalog von Rudolph Lepke, 1919

Frage 10: Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Und wo befinden sich heute die meisten Porzellane aus dem Japanischen Palais?

Außer Frage ist der größte Teilbestand immer noch bei uns in der Porzellansammlung! Aber davon einmal abgesehen ist dies ziemlich schwer zu beantworten, da wir mit knapp 800 Stücken doch erst einen kleinen Teil der zerstreuten Sammlung wieder aufgespürt haben. Größere Bestände in Museen sind nahezu ausnahmslos auf die Beiträge von einzelnen Privatsammlern zurückzuführen. So befindet sich heute eine nennenswerte Anzahl von Stücken aus dem Japanischen Palais – dank der Schenkung von Teilen der berühmten Sammlung Henry H. Arnhold (1921–2018) – in der Frick Collection in New York. Und die wohl größte Zahl von Porzellanen und Steinzeugen aus dem Japanischen Palais – außerhalb Dresdens - ist heute im British Museum in London zu finden. Sie geht fast ausschließlich auf die Privatsammlung des ehemaligen Kurators Sir August Wollaston Franks (1826–1897) zurück, der bereits 1878 mindestens 43 Porzellane mit Palaisnummern in seinem Besitz hatte.

Frage 11: Deutsche Sammler

Und kennen Sie auch deutsche Sammler, die Palaisstücke haben oder hatten?

Selbstverständlich. Besonders interessant scheint mir hier der Dresdner Arzt und Sammler Carl Spitzner (1831–1899). Spitzner trug den Großteil seiner beachtlichen Sammlung im späten 19. Jahrhundert auf Reisen und aus dem Dresdner Kunsthandel zusammen. 1890 erwarb die Porzellansammlung seine Sammlung von 1.400 Einzelstücken für 90.000 Mark. Darunter auch eine ganze Reihe von frühen Meissener und auch einigen ostasiatischen Porzellanen mit Palaisnummern. Sie sind an einem in Rot aufgemalten „Sp.“ zu erkennen. Diese Stücke müssen also bereits im 19. Jahrhundert veräußert worden sein, um 1890 in die Porzellansammlung zurückkehren zu können.

Foto, Becher und Unterschale mit floralem Dekor
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer
Becher mit Unterschale 1729-31, Inv. Nr. PE 5060 a, b

Frage 11: Deutsche Sammler 2

Foto, Unterseite mit gekreuzten Schwertern und historischen Nummern
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer

Frage 10: Warum wurde aus der historischen Sammlung verkauft?

Aber noch eine ganz praktische Fragen: Wie gehen Sie und Ihre Kolleginnen bei Ihrer Recherche nach solchen Porzellanen vor?

Wir suchen auf mannigfaltigen Wegen nach den verlorenen Palaisstücken. Selbstverständlich versuchen wir direkt mit Museumskolleg*innen Kontakt aufzunehmen. Es ist aber häufig auch schon gewinnbringend, selbst in den digitalen Angeboten und Datenbanken der Museen zu recherchieren. So können unsere Ansprechpartner*innen gezielter Informationen bereitstellen und wir besitzen schon Grunddaten. Auch eine erste Sichtung der Porzellanliteratur hat bereits viele Objekte zu Tage gefördert.

Frage 11: Deutsche Sammler

An welcher Stelle werden die Objekte in anderen Museen nun durch die Porzellansammlung sichtbar gemacht und wie?

Langfristig planen wir die Veröffentlichung eines digitalen Bestandskataloges der historischen Sammlung Augusts des Starken und seines Sohnes, der sowohl die ostasiatischen als auch die Meissener Porzellane umfasst. In dieser Veröffentlichung sollen die Porzellane auch mit den historischen Quellen in Bezug gesetzt werden. Angedacht ist in diesem Zusammenhang ein visualisiertes Inventar zu erstellen, quasi eine Bebilderung der Einträge der sechs Inventarbücher mit unseren neuen professionellen Objektfotos. An dieser Stelle wollen wir auch die Stücke aus anderen Museen einbinden. Unsere Hoffnung ist, dass mit der Publikation weitere Museen aufmerksam werden und möglicherweise in ihren Beständen Porzellane mit Palaisnummern entdecken, welche wir dann in den Katalog integrieren können. So könnte eine virtuelle Rekonstruktion der historischen königlich-kurfürstlichen Sammlung gelingen.

Foto,
© TBO, Nachträgliche Bearbeitung: Karolin Randhahn
Designkonzept des visualisierten Inventars

Objektwege

Projektwebsite

Im Wettstreit mit dem Kaiser von China

Es ist der Sammlungstätigkeit Augusts des Starken und seines Sohns Augusts III. zu verdanken, dass die Porzellansammlung heute die international bedeutendste historisch belegte Referenzsammlung an frühem Meissener Porzellan besitzt. Von 2018 bis 2021 wurden alle noch erhaltenen Stücke dieser einzigartigen Referenzsammlung identifiziert, digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen.

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Foto, Blick in den Ernst-Zimmermann-Raum
© Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Adrian Sauer/VG Bild-Kunst Bonn

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