23. Juli 2020

Auf Spurensuche im Kupferstich-Kabinett – Kunstwerke aus der Sammlung von Walter Holzhausen

Porträtskizze eines Kopfes

Provenienzrecherche

In den Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden systematisch die Provenienzen sämtlicher Zugänge von Kunstwerken seit 1933 untersucht. Im Rahmen des Recherche-, Erfassungs- und Inventurprojekts "Daphne" erforschen Wissenschaftler*innen dabei die Herkunft von Objekten und bereiten gegebenenfalls ihre Restitution an die ehemaligen Eigentümer bzw. deren Erben vor. An dieser Stelle stellen Mitarbeiter*innen ihre Arbeit vor.

"o.ф." für "особый фонд"

Von Katja Lindenau

Vor einigen Jahren lagen mehrere Zeichnungen und Druckgrafiken mit der Kennzeichnung "o.ф." für "особый фонд" (russisch für "Sonderfond" oder "Sonderdepot") und gefolgt von verschiedenen fünfstelligen Nummern auf meinem Schreibtisch. Ihre Herkunft hatte den Status "ungeklärt" und sie sollten im Rahmen des "Daphne-Projektes" auf ihre Provenienz untersucht werden. Die russische Nummerierung legte nahe, dass sie zu jenen Kunstwerken gehörten, die aufgrund der Kriegsgefahr aus den Räumen der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden in sichere Bergungsorte gebracht worden waren. Viele dieser Werke wurden nach dem 8. Mai 1945 von den Trophäenkommissionen der russischen Armee aus den Bergungsorten abgeholt und über die Zwischenstation Schloss Pillnitz, an der sie zusammengeführt wurden, in die Sowjetunion verbracht.

Ab 1955 kam es zur Rückführung

Ab 1955 kam es zur Rückführung von insgesamt 1,5 Millionen Kunstwerken, die aus den Museen in der sowjetischen Besatzungszone nach Moskau, Leningrad (St. Petersburg) und an andere Orte gelangt waren. Zunächst nahmen die Gemälde der Gemäldegalerie „Alte Meister“ nach erfolgreichen Ausstellungen im Moskauer Puschkin-Museum und in der Ost-Berliner Nationalgalerie, ihren Weg zurück an den angestammten Platz. In den Jahren 1958/59 folgten viele weitere Objekte, sowohl Porzellane, Möbel, Skulpturen, Münzen als auch grafische Arbeiten.

Doch nicht alles, was damals zurückkam

Doch nicht alles, was damals zurückkam, stammte aus Museumsbesitz. Und so stand ich vor einem Rätsel – die Werke trugen keinen Sammlungsstempel des Kupferstich-Kabinetts und waren in keinem der Inventare oder in den Erwerbungsunterlagen aufgeführt: weder die auf Japanpapier gedruckte Lithographie des Selbstbildnisses Oskar Kokoschkas aus dem Jahr 1921 noch die aquarellierten Bleistiftzeichnungen von Hilde Rakebrand. Den Holzschnitt „Die Sonne“ von Karl Schmidt-Rottluff hatte die Sammlung bei der Beschlagnahme-Aktion zur „entarteten Kunst“ im Oktober 1937 verloren, dieses Exemplar jedoch 1951 zurückerhalten – es war somit nicht mit dem zu untersuchenden Blatt identisch.

Porträtskizze eines Kopfes
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend
Oskar Kokoschka, Selbstporträt, 1921 (recto) Lithographie auf Japanpapier

Alle Werke einte jedoch die Nummerierung

Alle Werke einte jedoch die Nummerierung, beginnend mit den kyrillischen Buchstaben „o.ф.“.

Abbildung 2

Rückseite mit Inventarnummer
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend
Hilde Rakebrand, Ein Mann und eine Frau mit bunten Jonglierbällen, vor 1933 (verso), Detail

Darüber hinaus weisen sie keine Sammlermarken auf

Darüber hinaus wiesen sie keine Sammlermarken auf, anhand derer ich hätte herausfinden können, wem sie ursprünglich gehört hatten. Auf zwei Werken fand ich jedoch Bleistiftnotizen, die von unterschiedlichen Händen und wohl nicht von Mitarbeitern des Kupferstich-Kabinetts stammten. Eine flüchtig ausgeführte Aquarellskizze Hermann Glöckners trug den Vermerk „Holzhausen/ Mai 1930/ Glöckner“.

Wo, wer oder was war Holzhausen

Wo, wer oder was war „Holzhausen“?

Der nächste Gang führte mich

Die Beschriftung des zweiten Blattes, einer Federzeichnung Anna-Eva Hartungs, schränkte die Suche ein. Dort fand ich auf dem Passepartout die mit Bleistift notierten Worte „Herrn Dr. Holzhausen“.

Der nächste Gang führte mich zunächst zu den Altunterlagen zum sogenannten „Fremdbesitz“ – so werden häufig Werke bezeichnet, die sich zwar physisch in Museumssammlungen befinden, aber nicht in deren Eigentum gehören – und dann ins Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Ich fand einerseits auf einem der Rückführungsprotokolle aus der Sowjetunion den Hinweis auf eine „Mappe Holzhausen Priv. Sammlg.“ und andererseits eine in die 1960er Jahre zurückreichende Korrespondenz zwischen Dr. Walter Holzhausen und den Staatlichen Kunstsammlungen. Korrespondenz und Kontakt waren offenbar in der Wendezeit abgebrochen und das zwischenzeitlich vorhandene Wissen erneut in Vergessenheit geraten.

Aus den Unterlagen im Archiv

Aus den Unterlagen im Archiv und insbesondere aber aus den Informationen, die der seit 2015 neu entstandene Kontakt zur Familie Walter Holzhausens hervorbrachte, ergab sich ein spannendes Bild der Kriegs- und Nachkriegszeit:

Dr. Walter Holzhausen

Dr. Walter Holzhausen (1896–1968) war seit 1925 in Dresden tätig gewesen und stand in den Jahren des Zweiten Weltkrieges dem Historischen Museum und dem Grünen Gewölbe sowie dem Münzkabinett als kommissarischer Leiter vor. Als Mitarbeiter der staatlichen Museen bot sich ihm die Möglichkeit, Teile seiner privaten Kunstsammlung mit in die Bergungsdepots auszulagern. Eine Liste der Werke oder Einlagerungsquittungen haben sich leider nicht erhalten. Ein großes Glück war es daher, dass ich nach den ersten Recherchen Kontakt mit Hans-Jürgen Holzhausen, einem der beiden Söhne Walter Holzhausens aufnehmen konnte. Er war sehr erfreut, dass nun wieder der Versuch unternommen wurde, die ehemals der Familie gehörenden Kunstwerke ausfindig zu machen und stellte mir ein Verzeichnis der von seinem Vater bis 1943 erworbenen Kunstgegenstände zur Verfügung. Darauf finden sich auf der ersten Seite: „1932 Holzschnitt von Schmidt-Rottluff“ und „1931 Litho, Kokoschka, Selbstbildnis“.

Dr. Walther Holzhausen am 8. April 1942, anlässlich der Hochzeit von Fritz Löffler in Dresden

Abbildung 3

Auflistung verschiedener Ankäufe
© SKD
Sammlungsverzeichnis von Dr. Walter Holzhausen, Ausschnitt

Doch nicht alle Werke waren

Doch nicht alle Werke waren durch Widmungen oder durch die Verzeichnung auf der Sammlungsliste nachweisbar der Herkunft Holzhausen zuzuordnen.

Auf der Suche nach Informationen

Auf der Suche nach Informationen über das künstlerische Werk Hilde Rakebrands – langjährige Mitarbeiterin und Sammlungsdirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – stieß ich auf deren schriftlichen Nachlass. Dem war zu entnehmen, dass sich Holzhausen sehr für die zeitgenössischen Künstler in Dresden interessierte und regelmäßig Rezensionen über Ausstellungen schrieb. Eine besondere Freundschaft verband ihn und seine Ehefrau Erika mit der seit 1928 in Dresden lebenden Hilde Rakebrand. 1933 zeigte die Galerie Kunstausstellung Kühl Werke von Rakebrand und Curt Querner. Walter Holzhausen rezensierte die Schau folgendermaßen: „[…] so ist sie auf den Gedanken gekommen, sie [die Werke] alle in gleich große Kartons einzulassen, diese mit Cellophan zu überziehen“, um eine bessere Wirkung in der Ausstellung zu erzielen.

Bild in Wasserfarben eines jonglierenden Mannes und einer jonglierenden Frau
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend
Hilde Rakebrand, Ein Mann und eine Frau mit bunten Jonglierbällen, vor 1933 (recto) Pinsel in Wasserfarben über Bleistift

Noch während meiner Recherche im Jahr 2015

Noch während meiner Recherche im Jahr 2015 trugen die drei gleich großen, in tiefe Passepartouts eingelassenen Zeichnungen eine dünne Schicht aus gelblichem Zellophan! Auf einer der zu untersuchenden Zeichnungen befand sich zusätzlich neben der russischen Inventarnummer die Beschriftung: „reserviert Ciko“. Doch wie konnten diese Worte und die Rezension bei der Zuordnung von Kunstwerken zu ihrem Eigentümer helfen? Ein weiteres Schriftstück aus dem Nachlass Hilde Rakebrands brachte des Rätsels Lösung: 1946 bedankte sich Walter Holzhausen bei ihr und Carl Rade (Maler und Lehrer an der Dresdner Kunstgewerbeschule) für deren Unterstützung und Aufmunterung in der Nachkriegszeit. Seinen Brief unterzeichnete er mit: „Herzlichst Euer Ciko“. Die Zeichnung „Mann und Frau mit bunten Jonglierbällen“ von Rakebrand war 1933 also direkt aus der Ausstellung in die Sammlung Holzhausens übergegangen.

Abbildung 4

Detail der Rückseite mit Aufschrift "reserviert. Ciko."
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend
Hilde Rakebrand, Ein Mann und eine Frau mit bunten Jonglierbällen, vor 1933 (verso), Detail

Im September 2017

Im September 2017 kam dann der schöne Augenblick – das Kupferstich-Kabinett übergab Peter Holzhausen, Walter Holzhausens zweitem Sohn, und seiner Frau insgesamt sieben Werke. Doch das Andenken an Walter Holzhausen bleibt dank der großzügigen Schenkung zweier Werke durch die Familie Holzhausen im Kupferstich-Kabinett bewahrt. Besucher*innen können sich weiterhin an Oskar Kokoschkas Selbstbildnis und einer Zeichnung Hilde Rakebrands erfreuen.

Abbildung 6

Personen im Kupferstich-Kabinett an einem Tisch mit graphischen Werken
© SKD, Foto: Andreas Diesend
Übergabe der Werke an Peter Holzhausen und seine Frau

Dr. Katja Lindenau

Dr. Katja Lindenau ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im „Daphne“-Projekt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und verantwortlich für die Provenienzrecherche im Kupferstich-Kabinett.

© SKD, Foto: Andreas Diesend
Katja Lindenau mit Teilnehmern des Deutsch-Amerikanische Austauschprogramms zur Provenienzforschung für Museen (PREP) März 2019, Dresden, Sektion Grafik/ „Sonderauftrag Linz“
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