29. November 2017

Jacob Böhme in der Dresdner Schlosskapelle

kreisförmige Skizze

Ein ehemaliger Sakralraum wird zum Gedankengebäude. Jacob Böhme in der Dresdner Schlosskapelle

Vom 26. August bis 19. November 2017 zeigte die Ausstellung „Alles in Allem. Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme“ Ideen und Konzepte des Philosophen und präsentierte unter anderem originale Schriften und wissenschaftliche Instrumente des 16. und 17. Jahrhunderts sowie spätere künstlerische Auseinandersetzungen mit Böhmes Werk. Lucinda Martin führt ein DFG-Projekt am Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt und forscht seit 2009 zu Jacob Böhme. Gemeinsam mit Claudia Brink von den SKD und Cecilia Muratori, die an der University of Warwick arbeitet, hat Frau Martin die Ausstellung kuratiert. Wir trafen sie für ein Interview.

Ein ehemaliger Sakralraum wird zum Gedankengebäude. Jacob Böhme in der Dresdner Schlosskapelle

Frau Martin, vor welchen Herausforderungen standen Sie bei der Vorbereitung der Ausstellung?

Es war zunächst ein großes Problem einen Schriftsteller in Form einer Ausstellung darzustellen und vor allem einen, der so eine dichte, eine archaische Sprache hat, sehr barock, sehr alchemistisch. Ein Vorteil bei Böhme ist, dass er viele visuelle Metaphern und Bilder benutzt. Über die Jahrhunderte hinweg haben Künstler immer wieder versucht Böhme zu erfassen, was uns in jedem Fall auch geholfen hat. Wir wagen mit der Ausstellung ein Experiment und hoffen, dass es funktioniert.

Ein ehemaliger Sakralraum wird zum Gedankengebäude. Jacob Böhme in der Dresdner Schlosskapelle

Wir stellen Böhme aus und haben in der Mitte des Raumes eine Hörstation, an der man seine Schriften hören kann. In jeder Nische der Kapelle zeigen wir Böhme im Kontext seiner Zeit. Zudem werden wissenschaftliche Instrumente ausgestellt, damit der Besucher zum Beispiel versteht, was der Schriftsteller meint, wenn er von Heliozentrismus spricht, dem Weltbild, in dem die Sonne als Zentrum gilt, oder von Alchemie. Daneben präsentieren wir Kunstwerke und haben sogenannte Reflektionswände gegenüber den kleinen Kapellen mit Böhmes Konzepten aufgestellt, auf denen wir zeigen, wie spätere Künstler sich mit Böhme auseinandergesetzt haben. Der Maler Wassily Kandinsky, zum Beispiel, war sehr inspiriert von Böhmes Idee, dass sich auf einem bestimmten Niveau alles in Harmonie befindet und alles miteinander verbunden ist. Des Weiteren denke ich, dass für die Kunst des 20. Jahrhunderts die Überlegung der Schöpfung als nie endender Prozess sehr wichtig war. Künstler griffen diese Ideen auf; sie führten diesen Prozess fort und erschufen quasi eine kleine Welt für sich.

Portraitzeichnung von Jacob Böhme mit Rahmen und Spruch
© SKD
Pieter van Gunst, Bildnis Jacob Böhme, 1686/1715 Kupferstich, Kupferstich-Kabinett

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Die grundlegende Schwierigkeit, vor der wir standen, war jedoch, wie man Philosophie überhaupt ausstellt. Wie kann man das Denken Böhmes ausstellen? Wir sahen eine Möglichkeit in einer Skizze von Böhme selber, seiner sogenannten „philosophischen Kugel“. Böhmes großes Anliegen war es, altes Wissen mit neuen Erkenntnissen in Harmonie zu bringen. Zu Böhmes Zeit gab es sehr viele neue Entdeckungen und Erfindungen. Die Welt wurde durch das Mikroskop, das Teleskop und die Entdeckung der neuen Welt viel größer. Böhme arbeitete an einer Theorie, die all diesen Aspekten des Kosmos gerecht wird. Mit seiner „philosophischen Kugel“ versucht Böhme diverse Elemente aus der Religion und aus der Naturphilosophie zu kombinieren. Er sieht darin keinen Wiederspruch, denn für Böhme laufen spirituelle und religiöse Prozesse parallel.

Blick in zwei Kategorien Böhmes: "Schöpfung" und "Kosmos - Die drei Prinzipien"
© SKD, Foto: Oliver Killig
Blick in die Sonderausstellung "ALLES IN ALLEM. Die Gedankenwelt des mystischen Philosophen Jacob Böhme" in der Schlosskapelle des Residenzschlosses Dresden

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Wie ist die Aufstellung räumlich und inhaltlich aufgebaut?

Die „philosophische Kugel“ wurde zur Blaupause für die gesamte Ausstellung. Innerhalb der Kugel gibt es zwei Halbkugeln, die nach außen schauend geöffnet sind. Eine Seite davon ist dunkel, die andere Seite ist hell. Zurückzuführen ist diese Anordnung auf Böhmes Idee der zwei Kräfte in allen Dingen: Dunkel und Hell, Tod und Leben, Ja und Nein. Laut Böhme ergebe sich nur aus dieser Spannung heraus Dynamik, nur so könne Leben entstehen, denn ohne den Tod hätte auch das Leben keine Bedeutung. In der Mitte der Kugel hat Böhme eine Achse angebracht, an der er ganz unterschiedliche Dinge wie „Himmel“ und „Hölle“ einander gegenüberstellt, um sie in seinem System zusammenzubringen. Die besagte Kugel haben wir auf den Boden des Raumes gemalt. Wir haben uns bemüht das Konzept räumlich so ähnlich zu gestalten, wie Böhme es in seiner „philosophischen Kugel“ anordnet. Dies bedeutet, dass der Besucher, der durch die Ausstellung geht, auch gleichzeitig durch Böhmes Kugel geht, durch sein Gedankengebäude.

kreisförmige Skizze
© Bibliotheca Philosophica Hermetica Amsterdam
Die Philosophische Kugel, aus: Jacob Böhme, Vierzig Fragen von der Seelen, 1730

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Der Besucher begibt sich damit in der ersten Nische der Kapelle auf eine Reise durch die Natur bis zur menschlichen Freiheit in der letzten Nische und schlägt damit einen Weg ein, den nach Jacob Böhme jeder Mensch während seines Lebens geht. Das Streben nach Gott und nach Wissen ist für Böhme miteinander verbunden. Wenn wir dem nachgehen, können wir wiedergeboren werden, können den Zustand der Freiheit erlangen, was für Böhme die Einheit von Gott und Natur bedeutet.

In welchem Verhältnis stand Jacob Böhme zur Kirche? Wie äußerte er sich bezüglich der Religion?

Jacob Böhme wurde von seinem Pastor in Görlitz stark dafür kritisiert, dass er als Schuster wagte, sich über Religion zu äußern. Es gab feste Standesregeln und er hatte als Handwerker eigentlich überhaupt keine Kompetenz, sich mit theologischen Themen auseinanderzusetzen. Böhme verstand sich jedoch als guter Lutheraner und er ging jeden Sonntag in die Kirche. Die Kritik, die er gegenüber der Kirche äußerte, hatte mit zweierlei Dingen zu tun: Zum einen sagte Böhme, dass ein rechter Christ keine Kriege führe. Und zum anderen äußerte er sich kritisch gegenüber theologischen Streitigkeiten innerhalb der Kirche. Böhme plädierte dafür, sich lieber um die Gemeinschaft zu kümmern.

Wieso entschieden Sie sich für die Schlosskapelle? Inwiefern passt dieser Ausstellungsort zu Böhme?

Es gab Gespräche über verschiedene Orte. Schlussendlich wurde es die Schlosskapelle, worüber wir sehr glücklich sind. Zum einen passt sie wunderbar mit unserem Konzept des begehbaren Gedankengebäudes Böhmes zusammen. Zum anderen konnten wir seine Hauptbegriffe den Seitennischen zuordnen. Zudem ist die aufwendig restaurierte Decke mit ihrem Schlingrippenwölbe aus verflochtenen Kreisen wie prädestiniert für Jacob Böhme, weil die Sphäre in seinem System so ein wichtiger Begriff ist. Ich finde auch, dass es passt, dass Böhme zurück zur Kirche kommt; er kommt sozusagen nach Hause.

Welchen Beitrag leisten Ihrer Meinung nach das Denken und die Ansätze Böhmes für unsere heutige Gesellschaft?

Ich denke, dass Böhme durchaus viele Dinge gesagt hat, die für uns heute noch relevant sind. Alle Kirchen in Böhmes Zeit betonten die Erbsünde, wonach die Menschen unfrei geboren seien. Böhme aber unterstreicht eine Erb-Freiheit. Weil der Mensch mit einem Gewissen ausgestattet ist, sind wir frei. Böhme thematisiert zudem stets die individuelle Verantwortung, die Freiheit mit sich bringt. Wir hätten sowohl das Göttliche als auch das Teuflische in uns und was wir aus uns machen, sei uns selbst überlassen. Natürlich sind seine Aussagen gegen Krieg und Gewalt relevanter denn je sowie seine Überzeugung, dass es gute Menschen überall gäbe und nicht nur im Christentum. Seine Auffassung geht in die Richtung unseres heutigen Begriffs der Toleranz. Konfessionen waren Böhme weniger wichtig, als das Handeln des Menschen. Die ökumenische oder überkonfessionelle Idee ist wesentlich für Böhmes Denken. Zudem finde ich essentiell, dass er ein weibliches Element in der Gottheit sieht. Das Kreative in Gott, das Schöpfungsmoment, nennt er die Sophia oder auch die Gottesweisheit. Diese Idee geht zurück auf eine sehr alte christliche Tradition. Der griechische Name für die göttliche Weisheit ist Sophia und wurde bereits im frühen Christentum als eine Person angesehen. Diese Idee blieb jedoch nicht über die Jahrhunderte hinweg stabil, mal kam sie wieder auf, dann verschwand sie erneut. Für Böhme löst sie ein wissenschaftliches Problem. Da er glaubt, dass Gott alle Elemente und Prinzipien des Kosmos umfassen muss, muss notwendigerweise auch das Weibliche präsent sein.

Wie erklären Sie sich die geringe Popularität Böhmes? Warum ist er im Gegensatz zu den Niederlanden und Großbritannien in Deutschland so unbekannt?

Jacob Böhme war sehr einflussreich; er ist einer der originellsten und einflussreichsten deutschen Schriftsteller. Es gibt eine riesige Rezeption in der Kunstgeschichte, in der Literatur und in der Philosophie. Hegel nannte ihn den ersten deutschen Philosophen. Dann ist die moderne Kunst zu erwähnen: Kandinskys Idee von abstrakter Kunst bezieht sich auf Böhmes Idee einer ewigen Geburt. Dass Böhme hierzulande wenig bekannt ist, hat vor allem mit Fächergrenzen zu tun. Als religiöser Schriftsteller wurde Böhme immer der Theologie zugeordnet, aber die konfessionelle Kirchengeschichte nahm Böhme als Laie nicht ernst und hat ihn lange Zeit  als „Fanatiker“ abgetan. Erst vor  wenigen Jahren wurde er schließlich wegen seiner radikalen poetischen Sprache von der Literaturwissenschaft entdeckt. Das Resultat ist, dass Böhme in anderen Ländern mehr untersucht wurde als in Deutschland. Im angelsächsischen und französischen Raum ist er bekannter. Zudem muss man aber sagen, dass seine Schriften schwer zu verstehen sind. Es ist erst einmal eine Hürde Böhme zu lesen, aber ich würde sagen es lohnt sich, wenn man sich die Zeit nimmt und etwas Geduld für Böhme.

In welchem Verhältnis steht Böhmes Philosophie zur Politik seiner Zeit? Inwieweit können Philosophen Ihrer Meinung nach Einfluss auf politische Aktivitäten nehmen?

Böhmes Kritik der sozialen und politischen Zustände seiner Zeit sorgte für Aufsehen und Diskussion. Aber es waren wichtige Anstöße, die er machte. Auch wenn Böhme die Institutionen seiner Zeit nicht ändern konnte und die Dinge, die er kritisierte, weiterhin so liefen wie bisher, hat er etwas Wichtiges angestoßen. Böhme und andere Spiritualisten haben den Weg geebnet für das, was wir heute als „Menschenrechte“ bezeichnen – Gewissensfreiheit, die Rechte von Minderheiten, eine Gesellschaft, die für alle gerecht ist. Böhme und weitere Spiritualisten betonten, dass der innere Charakter eines Menschen wichtiger sei als äußere Eigenschaften wie Geschlecht, Hautfarbe, Konfession oder sozialer Rang.  Wenn Böhme kein Autodidakt gewesen wäre, wenn er eine Stelle als ordinierter Theologe oder Universitätsprofessor inne gehabt hätte, dann hätte er diese wegen solcher Aussagen vermutlich verloren. Es ist natürlich weiterhin so, dass die Gesellschaft Querdenker braucht, die uns zwingen in den Spiegel zu schauen, damit wir über unsere Grundfeste nachdenken.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Martin.

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